135. Wie St. Sebaldus nach seinem Tode einen Zweifler besiegt.

[132] Von J.N.Vogl. – Nach Gamansius bei A. Crammer, das gotts.u. heil. Eichstädt. 1780 S. 133.


1.

Aufgebahrt liegt Sanct Sebaldus

In der Zelle, eng' und dunkel;

Zu des Todten Füßen sitzet

Hütend, stumm, ein schwarzer Bruder.


Ringsum herrschet Nacht, es schallet

Nicht ein Laut in öder Runde;

Trübe brennen ab die Kerzen –

Nur der Hüter ist noch munter.


Da, mit frevlem Sinne wendet,

Zu dem Todten sich der Bruder:

»Ei, wie bist du nun so stille!

Sprich, was wirkst du keine Wunder?«


»Nur getäuscht hast du die Menge,

Die gehuldigt deinem Ruhme;

Blendwerk war, was du verübtest,

Und die Einfalt nannt es: Wunder.«


»Konntest wirklich Wunder üben,

Gib mir jetzt davon die Kunde;

Will dir deine Zeichen glauben,

Wirkst du eins zu dieser Stunde.«


Aber kaum, daß ausgesprochen

Solches Wort aus seinem Munde,

Sieh' – da richtet sich Sebaldus

Plötzlich auf in seiner Truhe.


Aus den tiefen Augen schießend,

Grimmer Blicke Zornesgluten

Rufet er mit dumpfer Stimme:

»Wehe über dich, Verruchter!« –


Und im selben Nu verlöschen

Alle Lichter in der Stube,

Und, in's Antlitz schwer getroffen,

Stürzt zur Erde hin der Bruder.


2.

Hört ihr's nicht bei'm Todten drinnen

Weheklagen, Hülferufen?

Und es eilen hin die Mönche,

Wo Sebaldus liegt in Ruhe.


Seht – im Sarge liegt die Leiche,

Doch der Hüter wimmernd d'runter,

Bleich voll grimmer Schmerzen heulend,

Aus den beiden Augen blutend.
[132]

Und er kündet nun voll Jammer,

Wie gelästert seine Zunge,

Und ihn d'rauf der Todte strafend,

Also schmerzlich hab' verwundet.


Und den Blinden, der verzweifelt,

Führen sie in seine Stube,

Gießen Balsam, legen Kräuter,

Aber fruchtlos, auf die Wunde.


»Wehe!« ruft er, »weh' mir Armen,

Daß ich also mich verschuldet;

Nimmer werd' ich Gnade finden,

Ew'ge Nacht hält mich umwunden!« –


3.

Einsam sitzt der blinde Bruder,

Stillen Grams, in öder Stube,

Reue nagt an seinem Herzen

Ob dem Frevel seiner Zunge.


Und auf seine Kniee sinkt er,

Also zu dem Heil'gen rufend:

»O verzeih', um Jesus Willen,

Was an dir ich hab' verschuldet!«


»Sieh zerknirscht im Staub' mich liegen,

Der in ew'ge Nacht versunken;

Sieh' mein Herz von bitt'rer Reue

Ob der schlimmen That durchdrungen.«


Und er fühlt ein lind' Berühren

Plötzlich auf den Augen wunde

Und er hört Sebaldus Stimme:

»Blicke auf, du bist gesundet!« –


Und in namenloser Wonne

Ist des Bruders Herz entzunden,

Da der Quell des Lichtes wieder

Wunderthätig ihm entsprungen.


Wohl erstaunen all' die Mönche

Ob dem neuen kräft'gen Wunder,

Preisen laut Sebaldus Milde

Der verzieh dem reu'gen Bruder.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 132-133.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Traumnovelle

Traumnovelle

Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon