140. Weißer Geist zu Nürnberg.

[138] Happel. rell. cur. IV., 316. DeVries, de Satan I., 418. J.W.Wolf, deutsche Märchen und Sagen S. 328.


Gegen das Jahr 1672 lebte in Nürnberg ein Goldschmied mit seiner Frau und sechs Kindern. Diese Frau hatte einen Familiargeist, der immer um sie war und ihr vorhersagte, was ihr begegnen würde. Er zeigte sich ihr in Gestalt eines weißgekleideten Kindes, welches eine Sanduhr in der Hand trug. Einmal sprach er zu ihr: »Frau, ihr wäret todt gewesen, hätte nicht ein Sandkörnchen, welches ein Loch in diesem Gläschen gestopft hat, euch geholfen.« Eine Woche darnach fiel sie in ein gefährlich Fieber, entkam demselben aber glücklich. Auf ein ander Mal warnte er sie, nicht aus dem Hause zu gehen, denn sonst stürze sie sich in große Gefahr. Gern hätte sie dem Rathe gefolgt, doch drängten ihre häuslichen Geschäfte zu sehr und sie hatte in der That ein großes Unglück.

Bei Nacht sprach sie häufig mit dem Geiste, sang mit ihm sehr schöne andächtige Lieder und Psalmen, was ihr Mann am Tage nie an ihr bemerkte. Einmal bekam sie Lust, den Geist, der gewöhnlich unsichtbar um sie war, zu sehen, und sie bat ihn so lange darum, bis er es ihr[138] zugestand, doch warnte er sie dabei und sprach, ihre Neugier werde sie zu spät bereuen. Als sie nun wenige Tage später in ihrer Kammer etwas zu thun hatte, sah sie an der Mauer, wie im Schatten ein Kind von derselben Gestalt, wie oben vermeldet, welches aber gleich darauf verschwand. Kurz darauf fiel sie in eine schwere Krankheit und – der Geist hatte sie verlassen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 138-139.
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