164. Das Schloß der Spieler.

[170] Die vor. Schrift, S. 126.


Als noch das Einbringen der abgestorbenen Waldbäume zu den unverwehrten Geschäften der Landleute gehörte, war eine Bauersfamilie aus Obersteinach am Fuße des Ochsenkopfes in dieser Arbeit thätig. Einen zu ihr gehörigen Dienstknecht fing auf einmal heftig zu dürsten an. Er sprach daher zu einem jüngeren Mägdlein: »Gehe und hole mir Wasser, sonst verschmachte ich!« Da nahm das Kind ein Trinkgefäß, diesem Wunsche nachzukommen. Lange suchte es nach einer Quelle, bis es sich verirrt hatte. Als die Kleine dieses bemerkte, weinte sie heftig, und rief alle Namen der Ihrigen. Niemand wollte hören. Schon neigte sich die Sonne zum Untergange und noch hatte sie sich nicht aus dem Walde gefunden. Es war bereits völlige Nacht geworden, der Himmel blickte das verirrte Mädchen mit seinen zahllosen, flimmernden Augen an und sie machte sich bereit, in der Wildniß zu übernachten. Da gewahrte sie in geringer Entfernung ein herrlich beleuchtetes Schloß, das sie noch niemals gesehen hatte. Wie freudig schlug der Geängsteten das Herz, denn es lächelte ihr ein wirthliches Obdach! Sie eilte dieser schönen Hoffnung entgegen. Als sie näher an das Schloß kam, verkündete kein Laut lebende Bewohner. Sie klopfte – Niemand kam zu öffnen. Zum zweiten Male schlug sie an die hallende Thüre – nur das Echo antwortete, sie zu äffen. Zum dritten Male und stärker gebot ihr ängstliches Pochen Einlaß. Da wurden die Riegel zurückgeschoben und vor dem Mädchen stand ein Mann mit einer brennenden Kerze, der ihren Gruß nicht erwiederte und sie ernst und schweigend in einen weiten Saal führte. Sie setzte sich bescheiden auf ein Bänklein am Kamin. An einer langen Tafel saßen zwölf Männergestalten, die mit Kartenspiel beschäftigt waren. Aber kein[170] Laut bewegte sich von den bleichen Lippen. Schweigend legte der Verlierende die Münze hin und ohne ein Wort wurde der Gewinnst eingezogen. Da erfaßte allmählig das arme Mädchen jener Schauer, wie ihn der Sterbliche bei Ahnung des Ungeheuren zu empfinden pflegt. Mit ängstlichen Blicken betrachtete sie die rätselhaften Gestalten, und mit Entsetzen bemerkte sie jetzt, daß die Hände jedes Spielers eine andere Farbe trugen. Sie bemerkte goldgelbe, silberweiße, blutrothe Hände. Ihrer Besinnung kaum mächtig, rief die Kleine wie in Todesangst: »Assi möchti!« Und schweigend nahm der, welcher sie eingelassen hatte, die Kerze und ließ sie hinaus von der Wohnung des Grausens. Sie setzte sich ohnweit des Schlosses nieder und schlief bald ein. Als sie erwachte, vergoldete schon die Morgensonne die Wipfel der Bäume, die Lerche wirbelte ihr Lied und das Schloß war verschwunden. Ein Haufen Schutt und Steine auf der Stelle desselben ließ vermuthen, daß wohl ehemals ein Gebäude dort gewesen sein möge. Froh, das Abenteuer glücklich bestanden zu haben, setzte das Mägdlein ihr Suchen nach dem Wege fort und fand ihn wieder.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 170-171.
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