186. Die weiße Frau.

[188] Von L. Zapf.


Die Gräfin Orlamünde

Wallt nächtlich durch das Schloß,

Und große Schlüsselbünde

Umklirren ihr den Schoß.


Sie läßt sie rasselnd fallen

Droht Unheil ihrem Haus,

Daß durch die stillen Hallen

Es mächtig dröhnt und graus.


Sie kann nicht Ruhe finden

Die Kindesmörderin,

Sie muß die Hände winden

Und wandeln her und hin;


Die alten, öden Zimmer

Durchrauschen allezeit

Um Mitternacht, und nimmer

Wird sie davon befreit.


Sie schreitet in den Gängen

Im weißen Bauschgewand,

In stummer Trauer hängen

Die Ahnen an der Wand.


Sie blicken starr hernieder,

Gespenstisch auf ihr Leid,

Wenn durch das Dunkel wieder

Aufschimmert hell ihr Kleid.


So büßend ihre Sünde

Wallt durch den weiten Bau

Die Gräfin Orlamünde,

Die blut'ge weiße Frau.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 188-189.
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