217. Der wandelnde Prior.

[214] Von F.J.Freiholz.


In Ebrachs Klosterhallen

Geht oft ein Geist umher

Im Grab zwar darf er liegen,

Doch ruhen nimmermehr.


Er war in Ebrach Prior,

Doch hielt er nichts aus Pflicht,

Drum darf er nimmer sterben,

Bis zu dem Weltgericht.


So oft ein ander Schicksal

Dem Kloster steht bevor,

Steigt er zur Geisterstunde

Aus seinem Sarg empor.


Er geht durch alle Säle

Bis hin zum Gotteshaus,

Dort spricht er dann mit Beben

Die Unglücksmähre aus.
[214]

Und weithin in die Runde

Hört jedermann den Geist

Der Kloster Ebrach Unglück

Und Mißgeschick verheißt.


Zweimal ist er erschienen,

Kömmt er zum drittenmal,

Dann droht dem alten Kloster

Wohl gänzlicher Verfall.


Und stürzen Ebrach's Mauern

In Trümmer und in Graus,

Dann darf er ruhig liegen

In seinem Bretterhaus.


Doch sterben darf er nimmer,

Wenn Alles auch zerbricht,

Sein Geist darf nicht vom Leibe,

Ob der verletzten Pflicht.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 214-215.
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