236. Die Nymphen von Kastell.

[228] Von PhilippScherl.


1.

Auf Flachstein, moosumgürtet,

Im Glanz der Mitternacht,

Hält Lula mit Wellentöchtern

Einsame Brunnenwacht.


Sie bringt das wimmernde Wasser

Heut nicht zum leisen Gang,

Fern aber aus Tannenwölbung

Rauscht Tanz und Gesang.


Und die Töchter, schön und lüstern,

Umrücken die Mutter ganz:

Da drüben ist Pomp und Hochzeit,

Führ' uns zum Buhlentanz.


Die Mutter aber seufzet:

O Kinder, schweifet aus,

Nur kehrt bei Todesahnung

Heut bald ins Wellenhaus.


2.

Blank leuchtet im gewölbten Saal

Der Glanz und gold'ne Flitter,

Es flammt der Kelch, es dampft das Mahl

Und taumelnd sinkt der Ritter.

Graf Otto, wie der Templer kühn,

Rigissa, zart wie Lilien blüh'n,

Bejahten heut die Frage

Und hielten Brautgelage.


Und jetzo vom Geländer hoch

Hört man den Takt erschallen,

Und brausend in die Runde flog

Der Wirbel der Vasallen.

Der frische Blick, das graue Haar –

Wie kettet flink sich Paar an Paar,

Doch leis' wie Lüfte schleichen

Tanzt Gräfin ihren Reigen.


Da plötzlich springt das Flügelthor:

Drei Mädchen zum Entzücken

Mit Schneegewand und Silberflor

Verneigten sich den Blicken.

Ein Krönchen schließt das blonde Haar,

Der Gürtel flimmert wunderbar,

Und alles auf dem Feste

Umdrängt die schönen Gäste.


Und stolz am Arm der Ritter zog

Die Nymphe durch die Hallen,

Und brausend in die Runde flog

Der Wirbel der Vasallen.

Sie schwenkten rasch nach altem Brauch,

Wie Donnersturm und Zephyrhauch

Und tanzten ohne Wanken

Bis Mond und Stern' versanken.


»Schön Dank, ihr Herrn, der Dämmer bricht,

Zum andernmal, dann wieder!«

»Was, Schönste, was? doch scheiden nicht?

Frisch auf, ihr flinken Brüder!«

Das Zeichen tönt, die Tücher weh'n,

Die Cymbel rauscht, die Tänzer steh'n,

Und flüchtig um die Wette

Schlingt Kette sich an Kette.


»Der Schatten zieht, die Wolken zieh'n,

O Ritter, tanz' zu Ende!«

»Ha Jugendblut, ha Flattersinn,

Wer dreht sich da die Hände!«

Und Sang und Klang und Wirbellust

Betäuben die beklemmte Brust

Und laut vom wilden Schalle

Erzittert Dach und Halle.
[229]

»O hörst du nicht? Das Schluchzen nicht?

Das Wimmern aus den Teichen?« –

»Mein Kind, was soll das Traumgesicht,

Zum letzten noch den Reigen!«

Und Sang und Klang und Wirbellust

Betäuben die beklemmte Brust

Und laut vom wilden Schalle

Erzittert Dach und Halle.


Verlockter Leichtsinn, frevle nicht!

Ich zitt're schon, ich ahne!

Weh! Weh! dort blitzt das Morgenlicht,

Lautflatternd kräh'n die Hahne.

Und jach, wie Sturm die Wälder schreckt,

Entsetzt und bleich und schweißbedeckt,

Entstürzen, hilf Erbarmen,

Die Schwestern aus den Armen.


Und Knapp' und Ritter fliegend auf,

Und d'rein mit Ruf und Winken,

Bis in des Strudels Kreisellauf

Die Jammernden versinken.

Erschrocken blickt der Schwarm hinab

Dumpfwimmernd stöhnt das feuchte Grab

Und aus der Höhlung quellen

Drei dunkelblut'ge Wellen.


Jetzt blickt die Veste öd' und leer

Aus moderndem Gesteine,

Die gute Nymphe spielt nicht mehr

Im lauen Mondenscheine.

Der Quell, der einst so munter floß,

Und Kraft und lindes Heil verschloß,

Schleicht trauernd durch die Gründe,

Ein Bild gestrafter Sünde.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 228-230.
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