245. Bischof Conrads Mainfahrt.

[239] Von J.B.Goßmann. – J.W. Wolf, deutsche Märchen und Sagen. Leipzig 1845, S. 210. Erasmi Francisci höllischer Proteus S. 397. De Vries de Satan II., S. 345. – Conrad Wilhelm von Wernau von Würzburg und Herzog in Franken, starb 1684.


»Geh, Diener, und halte das Schifflein bereit!

Herr Dechant, Ihr gönnt uns Euer Geleit:

Die Frühlingssonne, der freundliche Main,

Sie locken und laden zur Lustfahrt ein.«


Kein Stündchen verschwand, da verließen das Schloß

Der Bischof und Dechant auf schmuckem Roß,

Bestiegen selbander das harrende Schiff

Nach Höchheim zu rudern mainab im Begriff.


Wie spielte die Luft mit den Wimpeln so hold,

Wie glänzte die Burg in der Sonne Gold,

Wie trieben die Fischlein ihr munteres Spiel,

Wie rauschte die Well' um den bauchigen Kiel!


Da wurde dem Bischof im Herzen so warm,

Da fühlt er sich ledig von Sorgen und Harm,

Da mundet ihm wieder der köstliche Wein,

Den drüben die Sonne gewürzt hat am Stein.


Das ist ein Getränk für Dezember und Mai,

Und zaubert dem Zecher all Holdes herbei;

Das kühlet im Sommer die sengende Glut

Das wärmet im Winter das frostige Blut.


Und langsam bewegt sich das Schifflein zur Stell

Des Frauenklosters von Unterzell,

Wo frommgepriesen, zu selbiger Frist,

Die Schwester des Bischofs – Aebtissin ist.
[239]

Und kommen sieht sie von Weitem den Zug –

Und sieht – ist es Täuschung und Sinnentrug? –

Und reibt sich die Augen, und starret mit Graus –

Die Schwester nach ihrem Bruder hinaus.


Denn vor ihm, da Wimpel und Deck' ihn nicht barg,

Lag schwarzumhangen von Tüchern, ein Sarg

Und Stola darauf und Inful und Stab,

So wie er gesenkt wird in's offene Grab.


Da ruft sie die Schwestern herbei auch in Eil'

Doch Keiner ward die Erscheinung zu Theil,

Sie sah'n in der Helle des sonnigen Lichts,

Den Bischof, den Dechant, die Diener, sonst Nichts.


Die Aebtin eilet entsetzt in den Chor,

Und sendet Gebete zum Himmel empor,

Und klaget: »So früh schon zum Tode bestimmt,

Da frisch noch die Lampe des Lebens ihm glimmt!«


Der Bischof reitet zur Stadt zurück:

»Ein solcher Tag ist im Leben ein Glück!«

Der Bischof reitet hinan auf's Schloß,

Steigt ab, und streichelt das muntere Roß.


Das Rößlein wird in den Stall geführt,

Da hat's nicht Hafer noch Heu berührt,

Dem Bischof drückte zur ewigen Ruh'

Der Engel des Todes die Augen zu.


Dies Alles geschah in derselbigen Nacht,

Des andern Tags hat die Sonne gelacht

So freundlich, als wie den Tag vorher,

Das Roß und den Reiter – sie freut es nicht mehr.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 239-240.
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