248. Das Grab im neuen Münster zu Würzburg.

[243] Von AugustStöber.


Im Lorenzgarten liegt ein Stein

An einer kühlen Stelle,

Da schwirren die Vöglein aus und ein,

Und pfeifen und singen helle.


Es ist ein alter Leichenstein

Von Trauerweiden beschattet,

Darunter liegt im engen Schrein

Ein Sängerherz bestattet.


Die Vöglein waren seine Lust,

Es hörte gern ihr Singen,

Und hüpfte selber in der Brust,

Wie muntre Vöglein springen.


Der Sänger lauschte mit Acht und Müh,

Der Lerche Ton zu lernen:

Auch schallt sein Lied wie morgenfrüh

Aus himmelblauen Fernen.


Er lernte von der Nachtigall

Das innigliche Kosen:

Drum singt er oft mit süßem Schall

Von Minnelust und Rosen.


Auch liebt er, wie die Vögelein,

Ein Wanderleben zu führen,

Und Gärten und Felder aus und ein

Die Flügel frisch zu rühren.


So streift er über den Wiesengrund

Und über die Bergesgipfel,

Bis er ein warmes Nestchen fand

Auf einem stolzen Wipfel.


An Vögel mahnt des Sängers Nam',

Ein Vöglein saß im Schilde,

Und als er nun zu sterben kam,

Bedacht' er sie gar milde.


»Vier Löcher höhlt in meinen Stein,

Und senkt darein vier Tröglein,

Und schüttet Wasser und Körner ein

Für meine lieben Vöglein!«


Und was er bat im letzten Drang,

Willfahret ward ihm eilig;

Die Klosterbrüder hielten lang

Des Sängers Willen heilig.


Herr Walther von der Vogelweid

Ist unser Meister geheißen;

Noch fliegen Vögel aus Wald und Haid

Und singen ihm frische Weisen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 243.
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