250. Des Malers Rache.

[244] Von JuliusRuttor.


War einst ein junger Maler

Zu Würzburg, weitbekannt;

Sein Name wird in keiner

Der Chroniken genannt.

Doch lebt im Volkesmunde

Des Malers Rachethat;

Ich will es euch erzählen,

Wie sich's begeben hat.


Der Maler führt den Pinsel

Nach innerm Künstlerdrang;

Darum ihm auch vortrefflich

Des Heilands Bild gelang.

Und weit und breit erschollen

War unsers Malers Ruhm;

Und seine Bilder prangten

Im Tempelheiligthum.


Da war im Reuernkloster

Ein Mönch zur selben Zeit,

Trotz seinem mächt'gen Geize

Im Ruf der Heiligkeit.

Der ließ den Maler kommen,

Und sprach: »Mein lieber Sohn!

Mal' unsrer Kirch' den Heiland,

Was heischest du für Lohn?« –


Der Maler sprach: »Zweihundert

Bezahlt der Gulden mir;

Ich mal' euch unsern Heiland,

Schön soll er prangen hier.

Doch brauch' ich zwanzig Wochen,

Bis er vollendet ist;

Ich mal' mit allem Fleiße

Das Bild von Jesu Christ.«


Der Priester drauf versprach ihm

Den ausgedungnen Lohn;

Der Maler ging zur Arbeit

Voll Eifer gleich davon.

Und als die zwanzig Wochen

Vorbei, die Arbeitsfrist;

Da ist das Bild vollendet,

Das Bild von Jesu Christ.


Er tritt mit seinem Bilde

Zum greisen Prior hin;

Doch dieser will vom Lohne

Die Hälfte weg ihm zieh'n.

Da wird der Maler zornig,

Vernichtet rasch das Bild,

Und droht dem Mönche Rache,

Sein Auge rollet wild.


Der Maler eilt nach Hause,

Im Herz der Rache Plan:

»Dich soll man immer schauen,

Weil du mir so gethan.«

Und schon am andern Tage

Wird neu ein Bild bestellt,

Wo Christus wird gezeiget

Der schlimmen Judenwelt.


Dieß Bild soll in dem Dome

Dort am Altare steh'n.

Hört nun, was von dem Maler

Dem Mönchen ist gescheh'n.

Er malet den Pilatus,

Wie er den Heiland zeigt,

Und sich zum Judenvolke

Vom Altan sprechend neigt:
[245]

Seht da den Judenkönig!

Seht euren Meister an! –

Da schrie das Volk der Juden

In seinem irren Wahn:

An's Kreuz mit dem Betrüger,

Er sprach dem Kaiser Hohn;

Den Tod soll er erleiden

Als seiner Thaten Lohn!


Und in der Juden Mitte,

Da sieht man einen Mann,

Mit einem weißen Mantel,

Hat braune Kutte an.

Das Haupt ist ihm geschoren,

Er streckt den Arm empor,

Und feuert an zum Rufen

Des Judenvolkes Chor.


Und dieser ist der Prior. –

Der Maler Rache sann,

Er zeichnet ihn noch schlechter

Als jeden jüd'schen Mann.

Der Maler ist vergessen,

Ihn nennt kein Chronikbuch,

Doch jenen geiz'gen Mönchen

Verfolgt der Rache Fluch.


Ihn schau'st du auf dem Bilde

Zu Würzburg in dem Dom,

Wie er dem Volk der Juden

Anregt der Bosheit Strom.

Der Maler ist vergessen,

Sein Nam' wird nicht genannt;

Doch seine grimme Rache

Zeigt des Altares Wand.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 244-246.
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