253. Die Residenz zu Würzburg.

[247] Von J. Ruttor.


Die Bauten sind zu Ende,

Es prangt der Fürstenbau,

Und über ihm sich wölbet

Voll Stolz des Himmels Blau.


Die Residenz, die schöne,

Sie prangt in Kaiserpracht;

Das Werk bald in Vollendung

Dem edlen Meister lacht.


Da tritt er vor den Bischof,

Und fordert seinen Lohn;

Doch dieser zwacket dieses

Und jenes ab davon.


Der Meister drob erzürnet,

Geräth in bittre Wuth,

Und redet zu sich selber

In heißer Zornesglut:


»Der Bau soll stets erinnern,

Daß er nicht ganz bezahlt;

Der Bau wird nicht vollendet,

Wie fürstlich er auch strahlt!«


Und tritt zu den Gesellen,

Und spricht das herr'sche Wort:

»Ein Fenster gegen Norden

Bleibt unvollendet dort!«


Und die Gesellen thaten,

Wie jener streng befahl;

Am Fenster das Gesimse

Wird nicht behau'n einmal.


Und noch zu dieser Stunde

Ist's unvollendet dort;

Der Geist des zorn'gen Meisters,

Er wandelt Nachts am Ort.


Versucht's ein and'rer Meister,

Das Fenster auszubau'n,

Kann er's am Morgen wieder

Im alten Stande schau'n.


Drum bleibt es unvollendet,

So lang der Bau besteht,

Der Wandrer kann es schauen,

Der dort vorüber geht.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 247-248.
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