259. Die versunkene Mühle.

[251] Von F.J.Freiholz. – An der Straße nach Veitshöchheim, wo das Siechenhaus steht.


Es saßen einst vier Gesellen

In einer Mühle am Main,

Die zechten da und die sangen

Manch wüstes Lied darein.


Sie fluchten auf Gott und Teufel,

Auf Zeit und auf Ewigkeit;

Sie fluchten dem eig'nen Fluchen

In ihrer Trunkenheit.


Da tappt es leis an der Thüre,

Da tappt es leis an dem Schloß,

So daß den wilden Gesellen

Der Schweiß vom Antlitz floß.


Sie sitzen ganz still und ruhig,

Nur einer springet hervor,

Verlacht die feigen Gefährten

Und öffnet keck das Thor.


Doch draußen da stehet zitternd

In einem ärmlichen Kleid,

Mit ihren bittenden Augen

Die wunderschönste Maid.


In herrlichen Locken wallet

Ihr schwarzes glänzendes Haar,

Es bringt das leuchtende Auge

Wohl jedem Herz Gefahr.


Da jubelten die Gesellen,

Im wilden, lustigen Chor;

Es schlug die schüchternen Augen

Die holde Maid empor:


»O gebet mir Trank und Speise

Und lasset fürder mich ziehn,

Ich muß noch heute nach Würzburg,

Der Frankenhauptstadt hin.«


»Ho! ho! du mein blödes Täubchen,«

So schreit der Erste und lacht,

»Du wirst so schnell nicht entwischen,

Du bleibst bei mir heut Nacht!«


»Ho! ho!« so schreiet der Zweite,

»Komm' Mädel trinke mit mir

Und ich verlange nichts weiter

Als einen Kuß dafür.«


»Ho! ho!« so schreiet der Dritte,

»Ich wünsch' ein Tänzchen mit dir,

O komm' schwarzlockiges Mädel

Und tanze ein's mit mir.«


Jedoch in der Brust des Vierten,

Da wirkt der Liebe Gewalt,

Verdrängt die rohe Begierde

Durch ihre Huldgestalt.
[251]

»O komme,« so rief er freudig,

»O komme, holdeste Maid;

Ich will dich treulich beschützen,

Ich geb dir das Geleit;


Ich liebe dich fest im Herzen,

Ich lieb' dich innig und wahr,

Trau meinem kräftigen Arme

Er schützt dich vor Gefahr.«


Da neiget sich süß erröthend,

Zu ihm die herrliche Maid,

Aus ihren glühenden Lippen

Saugt er sich Seligkeit.


So hielt er fest sie umschlungen

Mit seinem kräftigen Arm;

Wie ruht am Busen der Liebsten

Er gar so süß und warm.


Drob zürnten die drei Gesellen,

Und schrie'n und lärmten darein;

»Laß Bruder, lasse die Beute,

Denn sie ist allgemein.


Es hole sich Jeder selber

Was er für's beste dann hält,

So haben wir's stets getrieben,

So ist der Lauf der Welt.«


Doch fester hält er im Arme

Die ewig theuere Maid,

Er faßt die blinkende Waffe,

Und ist zum Kampf bereit.


Da stürmen die drei Gesellen,

Auf ihren Bruder herein,

Und stoßen mordende Dolche

Ihm tief in's Herz hinein.


Er sinket verblutend nieder,

Das Leben will ihm entfliehn,

Da wirft sich seine Geliebte

Noch einmal auf ihn hin.


Sie preßt ihn an ihren Busen,

Und an ihr pochendes Herz,

Sie kühlt mit brennenden Küssen

Ihm seinen Todesschmerz.


Doch jach empor von dem Boden,

Reißt sie der erste Gesell,

Umschlingt das bebende Mädchen

Mit seinen Armen schnell.


Er eilt mit ihr zu der Thüre,

Und faßt das dröhnende Schloß,

Als einer seiner Gefährten,

Von hinten ihn erschoß.


Da fassen die zwei Gesellen

An beiden Armen die Maid;

Doch über ihrem Besitze

Entbrannte neu der Streit.


Es kämpfen die zwei Gesellen

Um sie auf Leben und Tod;

Von ihrem strömenden Blute

Ist ringsum alles roth.


Sie stoßen die blut'gen Dolche

Zugleich in's Herz sich hinein;

Doch während die Zwei sich morden

Entkömmt die Maid zum Main.


Hier springt sie in die Fluthen,

In's tiefe, ruhige Grab,

Mit ihrem Leid um den Theuren,

Mit ihrem Schmerz hinab.


Da bebte es in der Runde,

Weit öffnete sich der Main,

Zog die verrufene Mühle

In seinen Schooß hinein.


Da stehet sie nun noch unten,

Und treibet ihr Rad noch heut,

Gar viele hörten sie rauschen

Zur mitternächt'gen Zeit.
[252]

Es schlagen die Wellen höher,

Wo einst die Mühle versank,

Gar mancher ist hier ertrunken,

Der sonst kein Wasser trank.


Drum beten auch alle Schiffer,

Beim unterirdischen Haus

Ein andächt'ges Vaterunser

Zum heil'gen Nicolaus.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 251-253.
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