286. Die Wettenburg.

[275] A.C.Cammerer Naturwunder, S. 231. F.J. Mone Anzeiger IV., 407. L. Braunfels Mainufer S. 289.


Im südlichsten Theile des Herrschaftsgerichtes Kreuzwertheim im Untermainkreise, erhebt sich ein steiler Berg, die Wettenburg genannt, auf drei Seiten vom Main umflossen, und mit der Blume des Wertheimer Weines prangend. Der Name des Berges stammt der Sage nach von einer Burg, die ehemals seinen Scheitel krönte.

Eine reiche Gräfin, so erzählet man, die Besitzerin der Burg wollte den Berg auch noch auf der vierten Seite vom Main umgeben wissen. Ihre Unterthanen erlagen fast unter der Last der Frohnarbeiten zu dem ungeheuern Unternehmen. Hindernisse aller Art veranlaßten endlich die Gräfin, jedem ihrer Freunde und Vasallen eine Wette für das Gelingen des Unternehmens anzubieten.

Sie warf einen blitzenden Demantring in die Fluth, und sprach: »So gewiß dieser Ring nimmer in meine Hände kommt, so gewiß muß der Berg durchgraben werden, wo nicht, so versinke meine Burg.« Ein furchtbarer Donnerschlag aus heiterem Himmel zeugte von ihrem Frevel. Am zweiten Abend saß die Dame in großer Gesellschaft bis Mitternacht bei üppigem Schmause. Ein großer Fisch ward endlich aufgetragen und beim Zerlegen in dessen Eingeweiden der in die Fluthen geschleuderte Ring gefunden. Alles entsetzte sich; aber mit dem letzten Schlage der Geisterstunde sank unter Donner und Blitz die Burg mit ihren Bewohnern in die Tiefe des Stromes. Nur wenige Trümmer und ein tiefer Schacht bezeichnen noch die Stelle des Schlosses. In diesen Schacht ließ sich einmal ein Hirt an einem Seil hinab, und hatte seinen oben gebliebenen Gefährten angewiesen, ihn auf ein gegebenes Zeichen sogleich herauszuziehen. Er kam in einen Saal, worin ein schwarzer Hund lag, und etliche Männer und Frauen in alter Tracht regungslos, wie Standbilder, beisammen saßen. Da faßte ihn ein Grausen und schnell ließ er sich hinaufziehen.

Einen Schäfer, welcher ein andermal hinunter gestiegen war, führte eine Frau, die Herrlichkeiten des Schlosses ihm zeigend, durch viele Gemächer, zuletzt in eines, worin lauter Todtenköpfe sich befanden. Als[276] er aus dem Berge kam, erfuhr er, daß seit seinem Hineinsteigen nicht, wie er geglaubt hatte, einige Stunden, sondern sieben ganze Jahre verflossen waren.

Heutiges Tages ist auch der Schacht nicht mehr zu sehen; wohl aber hört man noch Glockengeläute aus der Tiefe des Berges. Jedes siebente Jahr erscheint die Burg in der Tiefe des Mains; und alsdann erblicken Sonntagskinder auf der Berghöhe einen einsamen Felsen, daran ein gewaltiger Eisenring befestigt ist, und eine tiefe Höhle daneben. Aber noch Keiner hat sich in die Höhle gewagt. An einem solchen wunderbaren Tage hat einst ein Faßbinder sein Messer neben den eisernen Ring gelegt; da fühlte er einen unwiderstehlichen Drang zum Einschlafen. Und wie er erwachte, war mit dem Ring und Felsen auch das Bandmesser verschwunden; aber als er nach genau sieben Jahren abermals hinkam, lag es wieder auf derselben Stelle.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 275-277.
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