308. Der Löwe im Pfälzer Wappen.

[302] J. Trithem. de orig. Franc. ap. Ludewig Geschichtschreiber vom Bischoffthum Würtzburg. S. 1019. Eos 1819, N. 64, S. 253.


An der Straße, die von Mainz nach Frankreich führt, drei Stunden von Zweibrücken, erblickt der Wanderer ein ehrwürdiges Denkmal der Vorzeit. Auf einem abgesonderten Berge stand vor Zeiten eine ansehnliche Burg. Noch im sechszehnten Jahrhundert war sie ein Lieblingsaufenthalt des Herzogs Johannes I. von Zweibrücken. Jetzt ist es still und öde in dem zerfallenen Gemäuer; nur die Inschrift über dem Eingange spricht wie eine Stimme aus dem Dunkel längst verwichener Jahre. Sie ist aus der Feder dieses Fürsten geflossen und lautet:
[302]

Hyldrich der Franken König war

Vor mehr den Dreyzehen hundert Jar,

Der aus Rath ein's, der Hildegast hies,

Die drey Frösch in seynem Schildt verlies.

Dafür in's Panier den Lewen gut

Nam, des Hindertheil sich krummen thut,

Gleich wie ein Schlang, um des Adlers Hals,

Darmit anzuzeigen gleiches falls,

Daß der Franken Lewenhertzen frey,

Manheyt und rechte Klugheit darbey,

Nach Gottes Wille mit Krieges Macht

Sollten bezwingen der Römer Pracht,

Wie dann hernach geschehen ist.

Nachdem der Adler entflogen ist,

Frankreich Lilien zum Wappen nam,

Der gekrönte Lew blieb den Pfalz Stamm.

Gott erhalt die Pfalz beim Lewen gut,

Und dieß Hauß allzeit in seyner Hut.


Anno Christi MDXCVII.


Nach einer alten Ueberlieferung soll ein gewisser Hildegast die Deutschen zum Kampfe gegen die Römer in Gallien begeistert haben. Er war der Vertraute des Frankenkönigs Hilderich, Priester und Wahrsager, dessen Aussprüche heilig. Einst feierte Hildegast (im Jahre 224) den Geburtstag seines Königs. Er stand vor dem Altare einer heidnischen Gottheit, deren Priester er war. Als das Opfer verrichtet war, wurde er plötzlich von heiliger Begeisterung ergriffen. Seine Augen glühten, seine Glieder zitterten, er rief mit lauter Stimme: Ich sehe in die Zukunft: eine Gottheit aus Westen gibt den Sicambrern den Sieg, sie dringen hinüber in's Gallier-Land, sie herrschen in Germaniens Fluren. Jenseits des Flusses weicht der fremde Adler zurück; als muthiger Löwe mit der Schlange Klugheit geht der Franke vorwärts im Römergebiet.

Diese Aussprüche begeisterten Volk und König. Hilderich fand in den letzten Worten die Mahnung, ein neues Wappenschild zu wählen. Statt der drei Frösche nahm er den Löwen, in erhabener Stellung, mit offenem Rachen, ein Bild des Muthes und der Stärke. Der Kopf stand im blauen Felde – er sah über den Rhein in blaue Ferne, aus der er die Römer vertreiben sollte. Der Schweif war getheilt; die eine Hälfte endigte sich in eine Schlange, die einen Adler umfaßte, – sie sollte die Klugheit versinnbilden.[303]

Viele Jahre verflossen, bis der Löwe mit der Schlange vordrang. Nach dem Siege bei Zülpich wurde das letzte Hinderniß besiegt. Noch ehe Chlodwig das linke Rheinufer betrat, hatten die Deutschen die Römer vertrieben. Weil nun der Adler entflohen war, verließ der Frankenkönig das Sinnbild der Väter, und nahm die Lilien in sein Wappen, von denen ein christlicher Priester sagte, sie seien vom Himmel gefallen. Die übrigen Glieder seines Hauses behielten den Löwen; ihre Nachkommen haben ihn noch. Im bayerischen Wappen hält er das Schild, im Pfälzischen war er in der Mitte wie auf den Seiten zu sehen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 302-304.
Lizenz:
Kategorien: