315. Die Glocken zu Speyer.

[312] Von Max v. Oer. – Geissel Kaiserdom III., 235.


Zu Speyer im letzten Häuselein,

Da liegt ein Greis in Todespein,

Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,

Viel Thränen rinnen in seinen Bart.


Es hilft ihm Keiner in seiner Noth,

Es hilft ihm nur der bitt're Tod!

Und als der Tod an's Herze kam,

Da tönt's auf einmal wundersam.


Die Kaiserglocke, die lange verstummt,

Von selber dumpf und langsam summt,

Und all Glocken groß und klein

Mit vollem Klange fallen ein.


Da heißt's in Speyer und weit und breit:

Der Kaiser ist gestorben heut'!

Der Kaiser starb! Der Kaiser starb!

Weiß Keiner, wo der Kaiser starb?


* * *


Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,

Da liegt auf gold'ner Lagerstatt,

Mit mattem Aug' und matter Hand

Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.


Die Diener laufen hin und her,

Der Kaiser röchelt tief und schwer; –

Und als der Tod an's Herze kam,

Da tönt's auf einmal wundersam.


Die kleine Glocke, die lange verstummt,

Die Armensünder-Glocke summt

Und keine Glocke stimmet ein,

Sie summet fort und fort allein.


Da heißt's in Speyer und weit und breit,

Wer wird denn wohl gerichtet heut?

Wer mag der arme Sünder sein?

Sagt an, wo ist der Rabenstein?

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 312.
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