316. Das Marienbild im Dom zu Speyer.

[312] Simonis Beschr. der Bischofen zu Speyer p. 71. Lehmann chron. p. 438. Eysengrein chron. Sp. l. XII., 212. G. Litzel hist. Beschr. d. kais. Begräbniß zu Speyer S. 29. Geissel Kaiserdom I., 93.


Sankt Bernhard hatte sich einmal verspätet unter den Fürsten, die zu einem Reichstage gen Speyer gekommen waren, und die Stunde, wo er gewöhnlich Maria mit einem Ave zu grüßen pflegte, hatte schon längst geschlagen, als er sich seiner Säumniß erinnerte. Er lief also, so sehr er konnte, dem Dome zu und begann schon einige Schritte vor dem Altare sein Gebet: »O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria!« d.i.: »O du gütige, o du milde, o du süße Jungfrau Maria!« Als er aber nah dem Altare stand, da schaute ihn die Muttergottes nicht mit ihrem sonst so freundlich lächelnden, sondern mit einem Auge voll Verweises an und fragte aus dem Bilde: »Sancte Bernarde, unde tam tarde?« d.i.: »Heiliger Bernhard, warum kommst du so spät?« Deß war der heilige Bernhard jedoch nicht gewohnt und er antwortete Marien mit Pauli Worten: »Mulier taceat in ecclesia!« d.i.: »Das Weib soll schweigen in der Kirche.« Seitdem hat das Bild kein Wort gesprochen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 312-313.
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