350. Die Entführung.

[352] Von C. Aulenbach.Einöd Dorf bei Zweibrücken. Vgl. J.F.Weng u. J.B. Guth das Ries etc. Nördlingen I., 32.


»Dich thät ich mir erküren,

Im Herzen treu und wahr,

Kein Andrer soll mich führen

Einst hin zum Traualtar.

Und sollt' ich dein vergessen,

Dann hol' der Teufel mich!«

So redete vermessen

Zum Buhlen Dieterich


In schmachtendem Verlangen

Des Dorfes schönste Maid.

Kaum daß ein Mond vergangen,

Hat sie das Wort gereut;

Nicht achtend Dietrichs Schmerzen,

Hat sie den Schwur verletzt,

Und schenkte Hand und Herzen

Dem reichen Steffen jetzt.
[352]

Was jubelt man und leiert?

Was blinkt – welch' Festgelag?

Des Dorfes Schönste feiert

Heut' ihren Hochzeittag.

Wie regen sich die Füße

Zum Tanze allzumal!

Wie schwirrts von bunten Grüßen

Im vollgedrängten Saal!


Man weilt, bis ihre Runde

Die Schaar der Geister wallt

Da um die zwölfte Stunde,

Die dumpf vom Thurm erschallt,

Schritt durch die offne Pforte

Ein seltsam schwarzer Gast,

Der drauf bei diesem Worte

Die scheue Braut erfaßt:


»Hei, Liebchen mein, zum Tanze

Hab' ich dich heut' ersehn!

Wie schmuck im Flitterglanze

Im Haar die Kränze weh'n!

Dich thät ich mir erküren

Drum weg mit Furcht und Graus;

Ich will dich heut' noch führen

Zu eigen in mein Haus.


Und Arm in Arm durchzogen

Sie schleifend das Gemach;

Dem seltnen Tänzer flogen

Die Blicke Aller nach.

Da fielen – grausig Wunder!

Wie seltsam es geschah –

Die Kleider ihm herunter,

Herr Satanas stand da,


Mit Schweif und Pferdefüßen

Und Hörnern stand er da,

Die wilden Blicke schießen

Blitzflammen fern und nah.

Es bleicht Entsetzen alle;

Doch zu dem düstern Ort

Durchs Fenster aus der Halle

Huscht er mit jener fort.


Und rings erfüllt das Zimmer

Ein ekler Schwefelduft,

Hohnlachen mit Gewimmer

Vermengt, durchrauscht die Luft;

Betroffen stehn die Leutchen

Ob dem, was da geschehn,

Den Tänzer und sein Bräutchen

Hat keiner mehr geseh'n.


Wo dies sich zugetragen,

Im grünen Erbachgrund

Sieht man in Einöd ragen

Das Haus noch diese Stund!

Das Fenster ist vermauert,

Der Wandrer, der es sieht,

Von Angst und Furcht durchschauert

Fürbaß des Weges zieht.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 352-353.
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