388. Der Kettenträger zu Gundelfingen.

[392] (Mittermaiers) Sagenbuch 1850, S. 46.


Lange schon war in Gundelfingen, wie in allen Orten des Herzogthums Neuburg die katholische Religion auf das Strengste verboten und diejenigen, welche an dem Glauben ihrer Väter festhielten, wurden mit Kerker, Einziehung ihrer Güter und Landesverweisung bestraft. Aber dennoch hatte der alte Glaube noch treue Anhänger, die insgeheim die Ceremonien ihres Kultus feierten.

In Gundelfingen hatte sich schon seit Jahren ein Spanier, Don Alfonso geheißen, niedergelassen, der, so streng seine Landsleute gemeinlich der katholischen Religion ergeben, ihr ärgster Feind zu sein schien. Seine innige Bekanntschaft mit dem herzoglichen Pfleger zu Gundelfingen, dem Konrad Güß von Güssenburg, mißbrauchte er zum größten Schaden der heimlichen Katholiken. Seinem Späherblicke entging kaum einer der Altgläubigen und schon mehrere derselben hatte er in den Kerker und an den Bettelstab gebracht.

Eines Abends kam er hastig zu dem Pfleger und eröffnete ihm, wie er so eben erfahren, daß die Katholiken der Umgegend sich nächtlicherweile in den Ruinen von Faimingen versammelten, um dort unter Leitung eines Geistlichen Religionsübungen anzustellen. »Heute Nacht,« meinte er, »werden wir sie überfallen und wenn reiche Leute unter ihnen sind, für unsere Tasche ein schönes Profitchen machen.« – Er redete noch, als dem Pfleger einfiel, daß in dem benachbarten Gemache eine Dienerin mit dem Putzen des Zimmerbodens beschäftigt war und machte dieses dem Spanier bemerkbar, der einen grimmigen Fluch that, zu dem Mädchen eilte und ein scharfes Verhör mit ihr anstellte. Obschon sie nun behauptete, von der Unterredung der beiden Männer nichts vernommen zu haben, so ließ sie doch der Spanier einen hohen Eid schwören, heute mit keinem Menschen ein Wort mehr zu reden, worauf die beiden Männer das Gemach verließen, um Anstalt zur Bewaffnung ihrer Diener zu machen, mit deren Hülfe sie die Katholiken gefangen nehmen wollten.

Die arme Magd aber wollte fast verzweifeln, denn ihre Eltern waren katholisch und sie selbst hatte erst kürzlich in der Versammlung zu Faimingen[393] das heilige Abendmahl empfangen und nun konnte sie ihre Glaubensgenossen nicht einmal warnen.

Bald trat auch die Nacht ein; finster und wolkenbedeckt war der Himmel. Nahe beim Dorfe Faimingen, hart an den Ufern der Donau, welche sich seitdem bedeutend zurückgezogen hat, lagen mächtige Ruinen und Trümmerhaufen; denn einst hatten die Römer hier eine starke Burg zum Schutze der Donaubrücke errichtet, und in deren Ueberbleibsel hatten die Edlen von Flachberg im Mittelalter ihr Schloß hineingebaut, doch nun lagen die Gemächer öde und verlassen und dienten nur Füchsen und Eulen zur Wohnung. Doch heute schlich sich eine Gestalt um die andere durch das mit Epheu bewachsene Portal und als endlich eine beträchtliche Anzahl von Personen in der großen Halle versammelt war, verhängten sie mittelst ihrer Mäntel und Tücher die kärglichen Fensteröffnungen und zündeten Blendlaternen an und harrten sehnsüchtig. Ueber die Donau schwamm um diese Zeit ein einfacher Fischerkahn, nur von einem Manne gelenkt, der am Ufer angekommen über die Trümmer kletterte und bald unter den Versammelten erschien, die ihn mit stillem Händedruck begrüßten. Es war der Angekommene ein frommer Priester aus der Markgrafschaft Burgau, der, gekommen ihnen die Tröstungen der Religion zu spenden, unter seinem Mantel ein Kästchen hervorlangte, welches aufgeschlagen einen tragbaren Altar vorstellte, und sich eben anschickte, das heilige Meßopfer zu entrichten, als die Stille der Nacht plötzlich auffallend gestört wurde.

Von dem Eingange der Ruinen erscholl es mit lauter Stimme: »Da komm' ich her von Gundelfingen und hinter mir sind die Schergen, welche meine Eltern und die andern Katholiken gefangen nehmen wollen, und ich habe hohen Eid geschworen, heute mit keinem Menschen mehr zu reden. So rede ich denn zu dir du alter Eichbaum, der nicht fühlt, welche Qual mein Herz durchbohrt.« Aufmerksam hatte die Versammlung gehorcht, die Eltern hatten die Stimme ihrer Tochter erkannt und schnell ergriff Alles die Flucht. Der Priester war der letzte, welcher ging, er wäre lieber Märtyrer für seinen Glauben geworden. Und kaum war eine Stunde verflossen, so trat der Spanier mit den Bütteln und Schergen ein, und durchstöberte fluchend und scheltend die Ruinen, in welchen er zu seinem größten Aerger Niemand finden konnte. Endlich glaubte er sich in dem Tage geirrt zu haben, und ein andersmal glücklicher zu sein. Doch dieß andermal kam nicht, denn etliche Wochen hernach starb der[394] Herzog des Landes, und sein Sohn, der ihm in der Regierung folgte, war vor kurzem selbst Katholik geworden und führte diese Religion ebenso eifrig ein, als sie vorher verfolgt worden war. Das getreue Häuflein der Katholiken zu Gundelfingen hatte die Freude, in der Person jenes Geistlichen, (er hieß Molitor) einen Pfarrer zu erhalten, der seine Stelle rühmlichst, selbst in den größten Drangsalen des dreißigjährigen Krieges versah.

Der Spanier, Don Alfonso, den man für einen so eifrigen Protestanten gehalten, hing jetzt den Mantel nach dem Wind und änderte schnell seinen Glauben, ohne jedoch aufzuhören Wucher zu treiben und Geld zusammen zu scharren. Er war allgemein verhaßt und Jedermann glaubte, als man ihn eines Morgens vom Schlage getroffen mit schwarzblauem Gesichte todt im Bette fand, der Teufel habe ihn geholt und gönne seiner Seele im Tode keine Ruhe. Denn bald hieß es und heißt bis auf unsere Zeiten so, er wandle zu gewissen Zeiten mit Ketten an Händen und Füßen nächtlich als Gespenst in der Nähe seines ehemaligen Wohngebäudes. Man hieß diesen Geist im vorigen Jahrhundert nur den Kettenträger oder auch Kettenmann.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 392-395.
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