393. Das Herrgotts-Ruh-Klösterle.

[400] Von Isabella Braun. – Nach ( Mittermaiers) Sagenbuch der Städte Gundelfingen, Lauingen etc. 1849.


I.

Hell tönt des Hammers lauter Schall;

Den müssen junge Arme schwingen!

Vom Ambos rothe Gluten springen,

Und weit erklingt der Widerhall.

Drein mischet sich ein klarer Sang,

Ein Liebeslied aus alten Tagen;

Bald tönet weich und froh der Klang,

Und bald verweben drein sich Klagen.


Der Luitfried ist's, der Waffenschmid,

Deß Herz gleich wie das Eisen glühet,

Und liebend klopft und Funken sprühet,

Und widerhallt im Minnelied.

Hans Vollraths schönes Töchterlein,

Das holde Klärchen froh und sinnig,

Hat angefacht im Herzen sein

Dies Liebesfeuer treu und innig.


Wohl flüsterten manch Liebeswort

Der Jungfrau zarte Rosenlippen,

Und riefen in des Lebens Klippen

Gott an als treuen Schutz und Hort;

Doch in des Herzens Tiefe drinn,

Da regte sich ein ängstlich Beben,

Ob wohl des Vaters stolzer Sinn

Auch werde seinen Segen geben.


Denn arm war Luitfried; – frischer Muth,

Ein braves Herz und starke Hände,

Und seiner Werkstatt graue Wände,

Das war allein sein einzig Gut.

Hans Vollrath aber, reich an Gold,

Ein Rathsherr voller Bürger-Ehren,

Stolz auf sein Töchterlein so hold,

Mocht andern Eidam wohl begehren.


Das wußte Luitfried; und so quoll

Manch Schmerzenslaut in seine Lieder,

Und grimmig sank der Hammer nieder,

Wenn ihm der Zorn der Seele schwoll.

Er sah des holden Klärchens Bild

In jedem blanken Helm und Schwerte,

In jedem spiegelklaren Schild,

Daß heiß sein Herz nach ihr begehrte.


Da wirft er weg die Waffen weit,

Wirft weg den schweren Eisenhammer,

Eilt raschen Tritts in seine Kammer,

Und zieht hervor sein bestes Kleid.

So schreitet festlich angethan

Der schmucke Jüngling durch die Straßen

Und klopft an Vollraths Thüre an, –

Nun will die Wange fast erblassen!
[400]

»Nur Muth gefaßt, mein junges Herz!

Du mußt die kühne Bitte wagen.

Hör auf so heftig doch zu schlagen,

Heb' dich noch einmal himmelwärts!«

So spricht zu seines Herzens Pein

Er muthig, stark und gottergeben,

Tritt dann zu Liebchens Vater ein

In Ehrfurcht, aber ohne Beben.


Voll tiefer Demuth neigt er sich

Und spricht in flehend weichem Tone:

»Herr Vollrath! nehmt mich an zum Sohne,

Denn euer Klärchen liebet mich,

Und ich – o, Leben, Leib und Blut,

Und was ich bin, und was ich habe,

Hab ich in treuer Herzens Glut

Ihr längst geweiht als Liebesgabe.«


Arm bin ich; – aber meine Hand

Kann kräftig ja den Hammer schwingen,

Kann Hab und Gut und Gold erringen,

Und Schmuck und Zier und eitlen Tand.

Doch meine Lieb soll ihren Weg

Mit tausend Freudenblumen schmücken;

Und Kindeslieb und Kindespfleg

Soll euch als heißer Dank beglücken.


»Blickt finster nicht! blickt mild und klar!

Laßt euch als meinen Vater grüßen,

Laßt knien mich zu euren Füßen,

Reicht mir die Vaterhände dar.

O, gebt mir euer holdes Kind

Zum Heil auf meinen Lebenswegen!

Die Herzen längst vereinet sind

Nur harrend auf den Vatersegen.« –


Der Jüngling schweigt. – Kein einz'ger Laut

Ertönet in dem weiten Saale.

Da, von der Hoffnung warmem Strahle

Des jungen Luitfrieds Seele thaut.

Nun öffnet leise sich die Wand

Hold Klärchen tritt in ihre Mitte

Und faßt des Vaters kalte Hand

Mit einer stummen Liebesbitte.


Da ist's, als ob aus Geistesbann

Hans Vollrath plötzlich sei entbunden,

Die Lippe nun das Wort gefunden,

Und Arm und Fuß sich regen kann.

Denn Staunen ob dem kecken Muth,

Und Grimm, ob solchem kecken Wagen,

Und eine brause Zornesfluth, –

Ließ ihn bis jetzt kein Wörtlein sagen.


Nun aber, da sein eigen Kind

Mit Luitfried kniet vor seinem Sitze,

Da sprüht sein Auge Zornesblitze;

Vom Stuhle springt er auf geschwind,

Er stößt von sich mit starker Faust

Sein Kind in dieser bangen Stunde,

Und wie ein wilder Donner, braust

Nun Wort um Wort von seinem Munde.


»Hinweg! hinweg! – Ein Bettler du,

Und ohne Namen, ohne Ehren,

Willst eine Perle gar begehren,

Und meinst, ich lächle freudig zu?

Fürwahr, geduldig war mein Ohr

Zu lange wohl für deine Worte;

Hinweg von mir, du eitler Thor!

Hinweg aus dieses Hauses Pforte!«


»›Halt ein, Herr Vollrath! haltet ein!

Leb, Klärchen, wohl! – es heißt geschieden;

Es heißt auf ewig nun gemieden!

Doch dieses Herz bleibt ewig dein!

Leb wohl, du theure Vaterstadt!

Leb wohl! auf nimmer wieder sehen!

Der Luitfried keine Heimath hat;

Muß um den Tod zu werben gehen.‹«


Er stürzt hinaus. – Bleich Klärchen sinkt

Vor ihrem harten Vater nieder;

Durch die geschloss'nen Augenlider

Sich glühend Thrän' um Thräne ringt.

Hans Vollrath bebt, Hans Vollrath schaut;

Was mag sein Herz da drinnen sagen?

Ich glaube gar, dem Alten graut

Bei seines Kindes Thränenklagen. –
[401]

Jung Luitfried aber eilt nach Haus,

Schließt ein sich in der Werkstatt Mauern;

Hier sucht er in der Seele Trauern,

Sich nichts, als eine Waffe aus. –

Und wie das erste Morgengrau

Verscheucht die hellen, klaren Sterne,

Da zieht er durch die Heimath-Au

Hinaus, hinaus in blut'ge Ferne. –


II.

Horch! Glockenklang vom Thurme

Des Klösterleins erschallt!

Sieh! eine Menschenmenge

Dahin neugierig wallt;

Und Blumen und Gewinde

Umschlinget Thor und Stein,

Als sollt' in diesen Mauern

Gar eine Hochzeit sein.


Das Glöcklein ist verstummet,

Es reget sich kein Laut;

Die dichtgedrängte Menge

Erwartend lauscht und schaut.

Da thun sich auf die Thore,

Es wallt ein Zug heran,

Den aber führt ein Priester

Im Kirchenschmucke an.


Ihm folgen in dem Zuge

Jungfräulein sittig, zart,

Als wie in einem Kranze

Um Eine hold geschaart;

Wie eine weiße Rose

Glänzt ihrer Wangen Paar,

Und weiße Röslein kränzen

Ihr bräutlich auch das Haar.


Den Festeszug begleitet

Ein Rathsherr, reich geschmückt;

Doch aus dem düstern Auge

Kein Freudenschimmer blickt;

Es ist, als ob zum Grabe

Er führe nun sein Kind,

Nicht in des Kirchleins Hallen

Voll bräutlichem Gewind.


Doch ach! der Jungfrau folget

Kein Jüngling lustbewegt,

Dem in der schönen Stunde

Das Herz in Wonne schlägt.

Ein Zug von schwarzen Nonnen

Begleitet nur die Braut,

Daß es im weiten Kreise

Jedwedem Herzen graut.


Sie stehen am Altare,

Die Jungfrau tritt hervor;

Sie nimmt von ihrem Haupte

Des Kranzes Blumenflor;

Sie legt ihn auf die Stufen

Des festlichen Altars;

Sie schneidet ab die Flechten

Des langen, blonden Haars.


Es senkt sich ihre Stirne

So schönen Schmucks beraubt;

Ein dichter, schwarzer Schleier

Umhüllet nun das Haupt;

Und um die blendend weiße,

Die liebliche Gestalt,

Ein rauher, schwarzer Mantel

In weiten Falten wallt.


Nun sinkt sie auf die Knie, –

Tönt nicht ein leises Ach? –

Der Priester liest die Formel,

Sie spricht die Worte nach.

Halt ein! halt ein zu sprechen,

Den furchtbar schweren Eid!

O, schließe deine Lippen

Du junge, zarte Maid!
[402]

Das Wort ist ausgesprochen,

Das Opfer ist erfüllt;

Aus manchem jungen Auge

Ein Mitleidsthränlein quillt;

Selbst aus der Jungfrau Herzen

Stiehlt sich ein Seufzer bang,

Drein schallen heil'ge Hymnen

In feierlichem Sang.


Und wieder tönen Glocken,

So festlich und so rein;

Der Zug verläßt die Kirche

Und wallt zum Klösterlein;

Die Braut in dunklem Kleide,

Und nicht zum Hochzeittanz;

Von Nonnen dicht umgeben,

Nicht von der Mädchen Kranz.


Und heimwärts zieht die Menge; –

In heiterm Wort und Scherz

Hat sie auch schon vergessen

Dies gottgeweihte Herz.

Der Rathsherr nur alleine

Geht einsam, ohne Wort;

Und trägt in seiner Seele

Den Stachel mit sich fort.


Er tritt zu seinem Hause;

Da schließet er sich ein,

Sinkt hin und ächzt und stöhnet:

»Mein Kind! mein Töchterlein!

Dein Herz hab' ich gebrochen

Im Stolze hart und blind;

Nun hat mich Gott gestrafet –

Nahm mir mein einzig Kind.« –


III.

Es strahlet die Frühlingssonne in lebensweckender Pracht,

Daß wiederum Thal und Wiese von Gras und von Blumen lacht.

O Blümlein! o, bleibet drinnen in eurem so warmen Bett,

Durch säuselnde Frühlingslüfte das schwedische Banner weht!


Wohl Tausend von Reitern ziehen einher in gestrecktem Trab;

O Blümlein so jung! die treten euch alle ein frühes Grab.

Was gilt doch dem fremden Schweden das liebliche deutsche Land!

Was gilt doch dem Rosseshufe der Blümlein gemalt Gewand!


Die Sonne, sie aber leuchtet in wundersam hellem Gold;

Wahrhaftig, man könnte meinen, sie seie den Schweden hold;

Sie biete ein froh Willkommen der muthigen Kriegerzahl,

Um eitel sich abzuspiegeln im blinkenden Waffenstahl.


O Sonne! gar leicht zu lächeln hast du an dem Himmelszelt;

Du stehest ja wohlgeborgen in deiner entfernten Welt.

Doch wärst du bei uns da unten, dir käme das Grausen auch!

Denn blutig und wild und tapfer, das ist ja der Schweden Brauch.


Trompeten höret man schmettern; es rauschet die Donau im Chor;

Die Hufe der Rosse stampfen; da öffnet sich rasch das Thor;

Es ziehen hinein die Krieger; doch friedlich und ohne Blut;

Der Pfarrherr, der nur alleine muß lassen sein Geld und Gut.
[403]

Die Nacht hat gewebt den Schleier um Flur und um Wald und Stadt,

Und selige Schlummer-Ruhe darauf sich gelagert hat.

Ein einziger Mann alleine her schreitet mit ernstem Gang;

Gar feierlich schallt des Trittes vereinsamter, lauter Klang.


Nun bleibet er plötzlich stehen, betrachtet ein kleines Haus;

Wie sprühen doch seine Augen so funkelnde Blicke aus!

Ich glaube, ein stilles Thränlein aus männlichem Aug sich stiehlt,

Und Wehmuth und Schmerz und Wonne darinnen vereinet spielt.


Er breitet aus seine Arme und rufet in Seligkeit:

»O Heimath! sei mir gegrüßet nach langer, nach langer Zeit!

Wie habe ich mich gesehnet unzähligemale nach dir!

Nun stehe ich nach Gefahren nun wiederum selig hier! –


O Heimath! o sei gegrüßet! Du Heimath, so gib mir an,

Was bietest du deinem Sohne zum Gruße auf seiner Bahn?

Ich habe dir anvertrauet beim Scheiden mein holdes Lieb; –

Dies Kleinod, dies nur alleine zurücke mir wieder gieb!


Solch Hoffen es war das Sternlein in freudelos langer Nacht;

Mir Waffe und Schild und Banner im Toben der blut'gen Schlacht;

Dies Hoffen, es hat geführet mich wieder zu dir zurück;

So biete mir zum Willkommen, o Heimath! mein Liebesglück!«


So rufet der brave Krieger, der wackere Luitfried aus;

Er hüllet sich in den Mantel, verlässet sein Vaterhaus,

Und kehret zu seinem Lager, und träumet von Liebeslust,

Nach bitteren Trennungsschmerzen an Klärchens geliebter Brust. –


IV.

Im Klostergarten wallt allein

Bleich Klärchen in des Abends Schein,

Zu kosten milde Frühlingsluft

Und würzig süßen Blumenduft.

S'ist Alles ja in Gottes Welt

Woran ihr Herz sich darf erquicken,

Wonach das Auge könnte blicken,

Die einz'ge Labung unvergällt! –


Lieb Klärchen ist verwandelt sehr

Seit ein sie zog als Himmelsbraut

Mit ihrer Seele Liebesleid.

Da weg sie gab ihr bräutlich Kleid,


Gab weg sie selbst des Namens Laut,

Und den ach, gab sie schmerzlich her!

Nun sind die Wangen lilienbleich;

Des Lächelns ist beraubt der Mund;

Die Augen blicken wehmuthsreich

Und thun ein still Entsagen kund.


Nur in des Herzens kleinem Raum

Ist Alles wie in alten Tagen,

Da webt sich fort der Liebestraum;

Da stöhnen Luitfrieds Scheideklagen;

Da steht sein ewig theures Bild

So männlich ernst, so zärtlich mild
[404]

Mit seinen Augen treu und helle.

Wär nicht das heil'ge Kreuz darin,

Des Duldens und des Glaubens Sinn,

Nicht glich es einer Klosterzelle. –


Es ist für Klärchens reines Herz

Ein offen Buch das Frühlingsweben;

Oft hat in ihrem stillen Schmerz

Es ihr ein Trosteswort gegeben.

Aus Knospen, Blumen, Gras und Au,

Aus Vogelslied, aus klarem Thau,

Und aus der Silberwölklein Lauf

Stieg oft ein Zauber wonnig auf,

Und legte sich um's Herz ihr lind

Wie Mutterarme um das Kind;

Und wie das Kindlein schlummert ein,

Entschlief auch ihrer Seele Pein. –


Heut aber wogt es bang in ihr;

Nicht schlafen will das alte Leid!

S'ist grad, als ob die junge Maid

Statt einer Nonne walle hier.

Der seelenvolle Vogelsang,

Der oft ihr Gottes Lieb gesungen,

Macht heut das Herz nur liebesbang;

Und alle Stimmen der Natur,

Die sonst so himmelrein geklungen –

Sie haben ird'sche Sprache nur! –


So durch den Garten hin sie geht

Durchwebt von ahnungsvollen Träumen.

Da rauscht es plötzlich in den Bäumen,

Und Luitfried vor der Nonne steht. –

Ein starrer Blick, – ein Schrei der Lust,–

Ein Sinken an des Liebsten Brust,

Und ein Vergessen aller Welt, –

Ist Werk der seligen Sekunde;

Doch ach! ihr Flug nicht inne hält! –


Sie tritt zurück, – preßt ihre Hand

An's laute Herz in bangem Stöhnen;

Und zeiget auf ihr schwarz Gewand;

Ein Lächeln zittert um die Lippen

Als wollt das neue Glück es höhnen.

Dann schaut sie Luitfried schweigend an;


Ihr ganzes Herz liegt in dem Blicke,

Ihr ganzes schmerzliches Geschicke,

Die weite Zukunft, hoffnungsleer!

Nun bricht die Thräne sich die Bahn,

Ein salzig und ein todtes Meer!

Darin kein Wesen athmen kann. –


Doch Luitfried, reich an jungem Muth,

Naht Klärchen sich mit leisem Tritte,

Führt weg sie aus des Gartens Mitte

In schatt'ger Bäume sichre Hut;

Hebt ihr empor das Angesicht,

Und trocknet ihre heißen Zähren

Daß sich ihr Auge mußte klären; –

Und warm und traut er also spricht:


»Mein Klärchen! als in Jugendzeit

Sich uns're beiden Seelen fanden,

Da hast du dich mit ew'gen Banden,

Mit heil'gem Schwure mir geweiht. –

Es konnte deines Vaters Wort

Uns bannen in die Brust die Schmerzen,

Mich jagen aus dem Heimath-Ort, –

Doch nimmer scheiden unsre Herzen!


Ich zog hinaus zur wilden Schlacht

Zu betten mir mein blutig Grab;

Doch Gott hat über mir gewacht

Und alle Kugeln prallten ab

Von dieser Brust für dich gefeit,

Und siegreich zog ich aus dem Streit! –


Du aber, lang getrennt von mir,

Du weintest um mich – einen Todten;

Denn keine Zeichen, keine Boten,

Gelangten aus der Schlacht zu dir.

Da zogst du, eine Himmelsbraut,

Nun über dieses Klosters Schwelle

Um in der einsam stillen Zelle

Zu harren jener sel'gen Stunde,

Wo Gott zu einem ew'gen Bunde

Im Himmel unsre Seelen traut. –
[405]

Ich kehre heim. – Der junge Muth

Umkränzt die alte Lieb' mit Hoffen!

Schon seh' ich in der Wonne Glut

Den ganzen Liebeshimmel offen!

Ich seh' bei unsrer Treue Zeichen

Des Vaters starres Herz erweichen,

Und drücke dich ans trunkne Herz! –

Da wies man mich zum Grabesbette

Wo längst dein Vater schlummernd liegt,

Wies mich zu dieser Klosterstätte –

Und o! mein Traum zerrann in Schmerz!

Doch bald hat auch mein Muth gesiegt.


O theures Lieb! o, senke nicht

Dein thränumflortes Auge nieder!

Heb auf zum Himmel seine Lider,

Und folge deiner ersten Pflicht.

Erfülle deiner Jugend Eid!

Wirf weg von dir dies Trauerkleid

Und folge mir! – In fernem Lande

Soll uns die neue Heimath blüh'n;

Und in der Liebe heil'gem Bande

Das Herz in neuem Frühling glüh'n! –


Du zauderst noch? O, Klärchen, du!

Die Braut aus meinen Jugendtagen!

Du siehst dein Glück und meines tagen –

Und schließest deine Augen zu? –

O, höre mich, Verlobte mein!

– Wenn sich zur Erde senkt die Nacht,

Kein einzig Auge lauernd wacht,

Dann flieh aus deiner Klosterzelle

Vertrauend keines Lichtes Schein!

Dort, in der heiligen Kapelle,

Dort, theures Liebchen! harr ich dein.«


Die Liebe siegt. – Ein Wonnestrahl

Steigt aus der Seele in die Augen

Die Thränen alle aufzusaugen. –

Da schlägt die Uhr der Stunde Zahl

Die zum Gebet der Nonnen tönet.

Ein »Ja« aus Klärchens Auge sprüht,

Des Liebsten Bitte ist gekrönet –

Und rasch sie durch den Garten flieht. –


V.

Vom Thurm erschallt die Mitternacht;

Es schläft der Mensch, es schläft die Flur,

Nicht Stern und Mond am Himmel wacht;

In Klosterkirchleins kleinem Raum

Brennt matt die ew'ge Leuchte nur,

Wie Menschengeist in Schlummers Traum. –


Da wachet plötzlich auf ein Ton,

Ein dumpfer Laut wie Meereswell;

Drein klingelt einzeln, kurz und hell

Geklirr, als wie von Waffen-Stahl;

Doch wieder ist verstummt er schon

Und Todtenruhe herrscht im Thal.


Da schleichet geisterhaft und leis

Nun Luitfried zu des Kirchleins Thor,

Und Waffenbrüder in dem Kreis

Sie halten treue Wacht davor.


Er tritt hinein; es bebt die Brust,

Weiß nicht, ist es von leisem Bangen,

Ist es von Wonne und von Lust

Sein Lieb nun endlich zu umfangen.–

Er prangt in reicher Waffentracht

Daß drinnen glänzt das Lämpchen klar;

Und dorten stehet am Altar

Sein Klärchen düster wie die Nacht.

Er eilt hinzu, umschlingt die Braut,

Mit seinen Armen lustbeweget;

Doch horch! welch dumpfer Lärm sich reget!

Er naht, – er wird zum Waffenlaut!

Auf thut sich rasch die Sakristei –

Das Dunkel wird zum Feuermeere –

Es klirren Schwerter, blitzen Speere –

Wild drängen sich die Klosterknechte

Und wild die Schweden auch herbei –

Das Kirchlein hallet vom Gefechte

Und widerhallt vom Mordgeschrei. –
[406]

Und wie ein Schiff im wilden Sturm,

Im Wellenkampf ein fester Thurm –

Steht Luitfried mitten in dem Schwarm,

Hält schirmend seine Braut im Arm,

Das Schwert in seiner Mannesfaust

Verzweifelnd durch die Reihen saust.


Schon tränkt den Boden heißes Blut!

Und schon vor Luitfrieds kühnen Streichen

Die feigen Klosterknechte weichen;

Schon jauchzt sein Herz in Siegesmuth!

Da fasset plötzlich eine Hand

Die bleiche Braut an Luitfrieds Seite,

Und reißt am heiligen Gewand

An sich die lebenslose Beute.


Zur Wuth wird seines Herzens Qual;

In Wuth er mit dem Räuber ringt,

Daß sich sein Auge blutig röthet;

Vom Gürtel reißt er das Pistol, –

Er zielt, – er drückt – ein heller Strahl –

Ein Schrei – ein Aechzen bang und hohl –

Und zu der Erde Klärchen sinkt

Von Luitfrieds eigner Hand getödtet. –


Da zieht ein Grausen durch die Rund,

Es beben selbst der Schweden Glieder,

Und ihre Schwerter sinken nieder; –

Ein leis Gebet spricht jeder Mund. –

Mit stierem Blicke, gräßlich wild

In dem der Wahnsinn zuckt und leuchtet,

Schaut Luitfried auf das Todtenbild,

Das blutig rings den Stein befeuchtet.

Er beugt sich zu der Leiche hin,

Umfaßt die Hand so todtenkalt; –

Nun plötzlich durch den irren Sinn

Ein wacher Geistesfunke wallt;

Verzweifelnd in der Seele Graus

Stürzt Luitfried in die Nacht hinaus. –


Und aus den Reihen tritt hervor

Die Priorin mit ernstem Schritte

Zur Leiche in der Krieger Mitte,

Auf die sie strenge zürnend schaut; –

Streckt ihre bleiche Hand empor

Und ruft mit schauervoller Stimme:

»So strafet Gott in seinem Grimme

Die ungetreue Himmelsbraut!« –


VI.

In Gluten strahlet des Thales Rund;

Ist schon gekommen die Morgenstund?

Ist das der Sonne erwachend Licht?

O nein, die strahlet so blutig nicht.


Am Himmel leuchtet ein Feuerschein,

Es glüht herüber vom Klösterlein,

Und Reiter ziehen durch's graue Thal

Von Klärchens schaurigem Todten-Mal.


Sie warfen hinein der Fackel Brand

Als ewig dauerndes Rachepfand;

Wie Luitfried bebend im Wahnsinn flieht –

Die Schaar der Nonnen auch flüchtig zieht.


Auch Klärchens Seele zieht ruheleer

Im Schutt des Klösterleins leis umher,

Und ächzet schaurig und ächzet bang,

Und hält am Freitag den Todtengang.


Da wo sie geistig nun wandeln geht –

Ein kleines Kirchlein errichtet steht;

Da beuge liebend auch du dein Knie

Und sprich ein frommes Gebet für sie. –

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 400-407.
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