400. Das seltsame Gastmahl.

[417] Von K. Egon Ebert. – Bearbeitungen von WolfgangMüller,L.K.Wittich, A. Grün u.A.


Einst lebt' ein Mönch zu Köln am Rhein,

Der manches Wunder schuf,

Halb in des Zaubrers argem Schein,

Halb in des Frommen Ruf;

Albertum Magnum hieß man ihn,

Und weil er immer hold erschien,

So war er gern gelitten

In Volks und Hofes Mitten.


Der ging den Kaiser Wilhelm an:

»Herr, oft an deinem Mahl'

Hab ich Bescheid dir schon gethan

Aus goldenem Pokal;

Da du so lang geehrt mich hast,

So sei auch du einmal mein Gast

Mit deinen Dienern allen

In meinen Klosterhallen.«
[417]

Der Kaiser sprach: »Mein Wort zum Pfand;

Doch dich begreif ich kaum,

Hast du der Diener g'nug zur Hand,

Und für uns Alle Raum?

Für fünf ist schmal die Zelle dein,

Der Klostersaal ist eng und klein,

Wenn ich zu dir mich finde

Mit allem Hofgesinde.«


»Drum laß du sorgen deinen Knecht,

Er wird sich Raum erseh'n,

Es wird wohl Alles gut und recht

Und nach Gefallen geh'n.«

Hin ging der Mönch, als er so sprach;

Der Kaiser lacht', und blickt ihm nach –

»Das wird ein Gastmahl werden,

Wie keines noch auf Erden!«


Doch als der Tag des Mahles kam,

Da rief er sein Geleit,

Und warm Gewand ein Jeder nahm,

Ein pelzverbrämtes Kleid;

Denn draußen strich der Wind gar wild,

Die Straßen waren schneeverhüllt,

Die Flüss' und Bäch' und Bronnen

Mit Eisglanz übersponnen.


Sie ritten vor das Klosterthor,

Das weit schon offen war,

Albertus Magnus stand davor

In vieler Knaben Schaar;

Der Knaben fünfzig schön und zart,

Sie nahten sich mit feiner Art

Und nahmen ab die Rosse

Dem Kaiser und dem Trosse.


Dann ging der Mönch den Herr'n voran

Durch manchen dunkeln Gang,

Bis er ein Pförtlein aufgethan,

Draus Helle blendend drang,

D'raus Helle, wie vom sonn'gen Tag,

Sie kam vom Schnee, der üb'rall lag,

Da standen voll Erwarten,

Die Gäst' im Klostergarten.


Der Mönch schritt immer weiter fort,

Der Kaiser folgte stumm

Bis mitten in den freisten Ort,

Dort sah er staunend um;

Dort stand die Tafel lang und breit,

Und hundert Schüsseln d'rauf gereiht,

Doch unten Schnee und oben

Der Himmel dunstumwoben.


Wohl harrten fünfzig Knaben hier

In goldner Kleider Schein,

Wohl strahlte der Geschirre Zier,

Wohl funkelte der Wein;

Doch standen rings auch Baum und Strauch

Im Winterkleid', vom Reife rauch,

Und rauschten mit den Aesten

Willkommensgruß den Gästen.


Ein Murren schlich sich durch den Kreis,

Schon war's dem Schelten nah,

Und Einer sprach zum Andern leis:

»Der Teufel speise da!«

Doch weil der Kaiser ruhig war,

So blieb es auch die Dienerschaar,

Sie setzten sich zu Tische

In dieser Winterfrische.


Da sprach der Mönch: »Ihr lieben Herr'n,

Bei diesem Festgelag

Da wolltet ihr gewißlich gern

Heut einen Sommertag;

Wohlan, ich bin der gute Mann,

Der nichts dem Gast versagen kann

Es soll sich euer Willen

Im Augenblick erfüllen!«


Und einen Becher trank er aus

Die Augen glanzerhellt,

Den Andern goß er weit hinaus

In's winterliche Feld,

Und wo ein Tropfen sich ergoß,

Der Schnee in weitem Kreis zerfloß,

Man sah hervor mit Blinken

Den frischen Rasen winken.
[418]

Und plötzlich hauchte linde Luft

Der Gäste Wangen an,

Und Wohlgeruch, wie Veilchenduft,

Strich sachten Zugs heran;

Am Himmel riß der Nebeldampf,

Es ward ein wilder Wolkenkampf,

Zuletzt mit warmem Strahle

Schoß Sonnenglanz zu Thale.


Da ward es oben licht und blau

Und unten mählig grün,

Der kalte Schnee ward weich und blau

Und floß in Strömen hin;

Die spitzen Halme strebten auf,

Und Knospen guckten frisch herauf,

Die Bäume, froh erschrocken,

Entschüttelten die Flocken.


Und wärmer ward der Sonne Blick,

Er borst des Springbrunn's Eis,

Er schoß hinauf und fiel zurück

Und sprühte hell im Kreis,

Und in der Beete weitem Rund

Erblühten Blumen dicht und bunt,

Und rings begann an Zweigen

Sich Blüth und Blatt zu zeigen.


Zugleich erhob sich wirrer Zug

Von Käfern aller Art,

Der Falter kam im leichten Flug,

Die Biene, dicht geschaart,

Und Zeisig, Fink und Nachtigall

Wetteiferten in hellem Schall

Und sangen frohe Lieder

Von allen Bäumen nieder.


Und während ihres muntern Sangs

Ging hoch die Sonn' empor,

Und heißer ward's und mächt'gen Drangs

Stieg Blum' an Blum' hervor,

Zum Fruchtkeim ward die Blüth' in Hast,

Bald hingen rings an jedem Ast

Im gold'nen Sonnenlichte

Die glutgereiften Früchte.


Wie staunten da den Wundermann,

Dem solch ein Werk gelang,

Der Kaiser und die Seinen an,

Halb froh und halb auch bang;

Sie starrten lautlos um sich her,

Der Ritter keiner murrte mehr,

Sie hatten All' vergessen

Das Trinken und das Essen.


Zuerst erhob der Kaiser sich,

Und sprach mit mildem Laut':

»Nicht fassen kann man sicherlich,

Was heute wir geschaut;

Doch danken wir dem Gastherrn gut,

Der uns erschuf die Sommerglut,

Und freuen uns auf's Beste

Bei diesem Wunderfeste!«


Und wegwarf er von Brust und Arm

Das läst'ge Winterkleid,

Die Speise war noch völlig warm,

Er that ihr ernst Bescheid,

Und Alle tranken nun in Ruh'

Gesundheit ihrem Wirthe zu

Und freuten sich des Tages

Im Jubel des Gelages.


Erst als der Sonne Scheidestrahl

Schon trüb herniederfloß,

Erhoben sich vom reichen Mahl

Der Kaiser und sein Troß;

Der Mönch gab wieder das Geleit,

Und draußen fanden sie verschneit

In hochgethürmten Massen

Die hartgefrornen Straßen.


Da sprach der Kaiser: »Was wohl mag

So seltnem Wirth ich bieten,

Für seinen goldnen Sommertag,

Die Lieder und die Blüthen?

Du schufst im engen Klosterraum

Mir einen schönen wachen Traum,

Auch ich laß mich nicht schelten,

Und will ihn dir vergelten.
[419]

Ich will in Dein' und Klosters Huth

Zu ew'gem Angedenken,

Der Güter mein das beste Gut

Mit Land und Leuten schenken;

Doch sorge wohl, daß Sonnenschein

Das ganze Jahr lang müsse sein

Und nimmer Winter werde

Auf deiner eignen Erde.«


»Herr Kaiser,« sprach der Mönch darauf,

»Auf das will ich verzichten,

Die Welt hat ihren rechten Lauf

Bei Schnee und Blüth und Früchten,

Was heut', was einmal ist gescheh'n,

Das wird kein Auge wieder seh'n,

Und nimmer ich's begehre,

Was dir geschah zur Ehre.«


»Der Himmel hat der Gaben viel,

Der Gnad auf mich ergossen

Doch brauch ich sie zum falschen Ziel,

So mag er mich verstoßen;

Er half mir heute beim Gelag –

Doch jeder Tag ist Sommertag,

An welchem sich in Treuen

Die Guten schuldlos freuen.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 417-420.
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