402. Die feindlichen Brüder.

[422] (Mittermaier's) Sagenbuch 1850 S. 63.


Jedes Kind kann dem Fremdlinge zu Lauingen die an der gegen die Donau führende Straße gelegenen Wirthshäuser zum Adler und zur Krone zeigen. Beide Gebäude sind sehr merkwürdige Holzbauten und stehen, ein ernstes Denkmal aus vergangenen Tagen, wohl erhalten schon seit dem vierzehnten Jahrhundert. Die Sage rankt sich hinauf an den alten Gebäuden und erzählt dem Forscher folgende Begebenheit.

An der Stelle, wo sich jetzt die beiden Gasthöfe befinden, erhob sich aus der Zeit herstammend, wo Lauingen noch ein Dorf war, ein großes weitläufiges Gebäude, dessen Besitzer neben einer ausgebreiteten Oekonomie eine Wirthschaft betrieb. Ritter und Ritterfrauen, Edelknechte und Knappen wie dienstsuchende Reisige kehrten häufig ein und zechten wacker. Der Besitzer des Gasthofes hatte zur Bezeichnung desselben kecken Muthes das deutsche Reichswappen, den Adler mit der Kaiserkrone hinausgehängt. Als er starb, wollte jeder seiner Söhne das väterliche Anwesen haben, und da sie Zwillinge waren, konnte nicht einmal das Recht der Erstgeburt entscheiden. Beide Brüder standen in der Blüthe des Lebens, frisch und fröhlich und der Waffen kundig; hatten sie ja oft genug mit den Gästen[422] ihres Vaters zur Uebung gefochten und auch im Ernste schon tapfer drein geschlagen, wenn die Sturmglocke die wehrhafte Jugend der Stadt zum Zuge gegen die Raubritter des Donaugaus rief.

Ungeachtet ihres Streites um die väterliche Hinterlassenschaft, kamen die beiden Brüder fast ein Jahr lang ziemlich gut mit einander aus, bis der eine Werner geheißen sich mit einer ehrbaren Bürgerstochter verlobte und mit deren Heirathgute dem Bruder das Recht auf sein Anwesen abkaufen wollte. Als er aber dieses offenbarte, war sein Bruder vor Zorn ganz ausser sich. »Mein väterliches Erbe verkaufe ich um ein Kaiserthum nicht,« schrie er trotzig. »Bestehst du aber so sehr auf dem Besitze desselben, wohlan, du kannst es umsonst erhalten oder du mußt ihm für immer entsagen. Laß uns streiten; der Sieger mag Herr des Hauses sein!«

Des Bruders höhnische Rede erzürnte auch Werner und rasch griff er, ohne sich nur noch einen Augenblick zu bedenken, nach dem Seitengewehr, das damals jeder Mann an seiner Hüfte trug und in wenig Augenblicken hieben und stachen beide Brüder wüthend aufeinander los und der entsetzliche Kampf endete erst, nachdem Werner durch einen Stich in die Brust getroffen mit lautem Aufschrei zu Boden stürzte.

Es war als ob dieser Anblick die Denkungsart des kaum so leidenschaftlichen Klaus gänzlich veränderte. Denn außer sich vor Schreck stürzte er zu dem Hingesunkenen und bemühte sich das Blut zu stillen, das aus dessen Wunde quoll; doch vergebens. Die Dienstboten waren herbeigeeilt und drängten in ihn, sich zu flüchten, bevor das Gericht sich seiner bemächtige. Willenlos ließ sich Klaus bewegen, ein Pferd zu besteigen, aber dann ritt er, als wollte er dem eignen schmerzlichen Bewußtsein entfliehen, im sausenden Galopp über die Donaubrücke und über die Haide. Ihm begegneten Dienstmannen des Ritters von Ellerbach, der eben im Begriffe stand, mit Herzog Leopold von Oesterreich in den Krieg gegen die Schweizer zu ziehen. Schnell trat Klaus in dessen Dienste und bald brach man von Burgau auf.

Wohl war es ein schönes Ritterheer vom Kopf bis zum Fuß geharnischter Mannen, das Herzog Leopold gegen die Schweizer führte, welche nicht viel andere Waffen besaßen als unerschrocknen Muth und das Bewußtsein für Haus und Hof, Weib und Kinder zu fechten. – Bei Sempach kam es zur Schlacht. Viele hundert Grafen, Freiherrn und Ritter fanden den Tod, auch ihr Anführer Herzog Leopold.[423]

Klaus, der zur Rettung seines Herrn herbeigeeilt war, lag schwerverwundet auf dem Schlachtfelde und glaubte mit dem Tode sein Vergehen gegen den Bruder gut zu machen. Aber als am Tage nach der Schlacht die Schweizer die Todten plünderten, nahm sich einer derselben des Verwundeten an, schützte ihn gegen die Drohungen seiner Landsleute, nahm ihn mit sich nach Haus und verpflegte ihn sorgfältig. Klaus genas wieder und blieb Jahr und Tag im Bauernhause der Schweiz ein düsterer, verschloßner Mann, den man niemals lächeln sah, denn sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Endlich nahm er Abschied von der biedern Schweizerfamilie, die ihn nur ungern ziehen ließ und wanderte schweigend der Heimath zu.

Als er aber beim Donauthor hereinschritt, fand er das älterliche Wohnhaus nicht, an dessen Stelle standen zwei Häuser, welche sich in ihrem Aeußern nur wenig von einander unterschieden. Und als er in die Wohnstube des einen Hauses trat, um zu fragen, wie das sich alles verändert habe, trat ihm gesund und lebensfrisch sein Bruder Werner, den er getödtet zu haben glaubte, mit ausgebreiteten Armen entgegen, drückte ihn liebvoll ans Herz und rief: »Sei tausendmal willkommen, liebster Bruder, ich lebe und nimmermehr soll zwischen uns beiden Streit und Unfrieden herrschen!« Und als sich beide von der ersten Ueberraschung erholt hatten, fuhr er fort: »Siehe ich habe die Ursache unseres Zwistes, das Haus niederreißen lassen, und ließ zwei gleiche Wohnungen errichten, wähle, und willst du diese, so ziehe ich in die andere, willst du jene, so bleibe ich hier!« Und bald begrüßte auch Werners Weib den Bruder des Gemahls und ihre Kinder umsprangen fröhlich den Vetter.

Klaus nahm das leerstehende Haus in Besitz und die beiden Brüder theilten das Wappen, das ehemals die väterliche Schenke bezeichnete. Werner nahm den Reichsadler und Klaus die Krone.

Ohne Zank und Hader lebten die beiden Brüder ferner zusammen, und als Klaus nach Jahr und Tag ein niedliches Schweizermädchen, die Tochter des wackern Landmannes, der ihn vom wüsten Schlachtfelde gerettet, zum Weibe nahm, da war die Freude und der Jubel in Lauingen groß, und wohl oft haben seitdem Geigen und Flöten im Gasthof zur Krone aufgespielt und die Fenster von den Tritten der Tanzenden erklirrt, aber niemals so, wie an dem Tage, wo Klaus Hochzeit mit dem Vreneli hielt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 422-424.
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