410. Die heilige Afra zu Augsburg.

[434] Von Schöppner. – M. Velseri opp. p. 441. Adlzreiter ann. I. p. 116. Falkenstein Bayr. Gesch. I., 64 u.A.


1.

Nicht die Heiligen zu suchen,

Die gerechten Gotteskinder,

Stieg der Sohn vom Himmel nieder,

Sondern die verlornen Sünder;


Denn ob einem, der verirret

Wieder zu dem Hirt gekommen,

Größer ist des Himmels Freude,

Als ob neunundneunzig Frommen.


Da noch Roma's Imperator

Herrschte über deutsche Gauen,

Blühte in Augusta's Mauern

Afra, schön und hold zu schauen.


Doch im Heidenthum erwachsen,

Ungeweiht an Herz und Sinne

Fröhnte sie, der Venus Sclavin,

Unerlaubter Fleischesminne.


Also ging die arme Heidin

Auf des Lasters breitem Pfade,

Doch der Hirt sucht seine Schafe

Mit dem lauten Ruf der Gnade.


Eines Tages klopft ein Fremdling

Hehren Anblicks an die Pforte

Und begehret von der Heidin

Gastfreundschaft mit sanftem Worte.


»Sei willkommen, theurer Fremdling

In dem Hause süßer Minne;

Wolle Venus mich erhören,

Daß ich deine Huld gewinne!«


»Nimmermehr,« versetzt Narcissus,

»Komm' ich, Liebeslust zu suchen,

Deine Werke muß ich hassen,

Deiner Venus muß ich fluchen.


Eines Andern keusche Minne

Läutre deines Herzens Triebe,

Christi Minne, der am Kreuze

Blutend starb den Tod der Liebe.


Der dem wahnbethörten Sünder

Licht und Gnade hat gegeben,

Der von Todten auferstanden

Ist die Wahrheit und das Leben.
[434]

Der als Richter einst die Bösen

Von sich stößt zu ew'gem Leide

Und die Seelen der Gerechten

Lohnet mit des Himmels Freude.«


Also mahnet ernsten Wortes

Sanct Narcissus die Bethörte,

Daß sie von dem Heidenwahne

Sich zum wahren Gott bekehrte. –


Wie der frische Hauch des Morgens

Leben thaut auf welke Blüten,

Also sank in Afra's Seele

Glaubenslicht und Gottesfrieden.


Von der Gnade Kraft gestählet

Brach sie alter Sünden Bande,

Sühnte durch des Wandels Sitte

Ihres Götzendienstes Schande.


2.

Da hört der Prätor Gajus

Von Afra's neuem Sinn

Und sendet zornerglühend

Die Häscher zu ihr hin.


Und schmäht die Gottgeweihte

Ob ihrer That und droht,

Wo sie nicht Christus fluche,

Ihr mit dem Feuertod.


Deß lacht die Heldengleiche

Mit frohem Muth und spricht:

»Du kannst den Leib besiegen,

Doch meine Seele nicht!


Du quälst die morsche Hülle

In kurzer Flammenpein:

So wird der Leib von Schlacken

Der alten Sünde rein!« –


Ob solcher Rede funkelt

Des Römers Blick vor Wut,

Er winkt – die Schergen zünden

Des Scheiterhaufens Glut.


Dort stand die Heldenjungfrau

Im Blick der Glorie Glanz,

Um ihre Stirne blühte

Der ew'ge Siegeskranz.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 434-435.
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