429. Maria Eich.

[451] Von F.A.L. – Maria Eich, nächst Planegg bei München.Dr. J.H.Wolf Allgem. bayer. Chronik V., 50.


Der Kurfürst eilt zu jagen

Hinaus in den grünen Wald.

Im Schatten grauer Eichen

Ertönt sein Jagdhorn bald.


Die edlen Hunde spüren

Manch schmuckes Wildpret auf,

Die Herren reiten und hetzen

Und schießen mit Lust darauf.


Vor allen aber strahlet

Ein Edelhirsch herfür,

Ein stolzer Zwanzigender

Die Krone vom Revier.


»Halt ein! laßt alle andern!

Dem Zwanzigender nach!

Sollt der uns heut' entwischen,

Das brächt' uns ew'ge Schmach.«


Halloh! wie geht's von dannen

Hin über Stock und Stein!

Die wackern Rosse fliegen,

Den Hirsch fängt keines ein.


Sie hetzen gute Weile,

Schon sind die Hunde laß,

Der Hirsch mit jungen Kräften

Rennt windesschnell fürbaß.


Vor einer hohen Eiche

Da hält er plötzlich an

Und sieht mit ruhiger Miene

Die wilde Meute nah'n.


»Was ist in die tapfern Rüden

Auf einmal gefahren hinein?«

Sie stehen – o Wunder! – gebannet

Und keiner wagt sich drein.


Umkreisend der Eiche Schatten

Allsammen schweigen sie still,

Und legen zuletzt sich nieder;

»Was da wohl werden will?«


Der Kurfürst schaut betroffen

Und fragend die Jäger an:

»Wie ist uns Allen geschehen!

Wer hat es uns angethan?«
[451]

Da tritt ein alter Graubart

Entblößten Haupts herfür:

»Beugt eure Kniee, ihr Herren,

Auf heiliger Stätte hier!«


»Dieß ist Mariä Eiche

Seit alter Zeit genannt;

Dort schauet Mutter und Kindlein,

Geschnitzt von frommer Hand.«


Da ward der Wald zum Tempel,

Die Eiche zum Altar;

Es sinket in die Kniee

Die ganze Jägerschaar.


Die Pferde ohne Regung

Die Hunde ohne Laut;

Nur leise Lippenbewegung,

Die Seele tief erbaut.


So knie'n sie eine Weile,

Drauf hebt sich der Fürst empor,

Er schaut verehrend das Bildniß,

Gerührt den Hirsch davor.


»Nun dann, du edler Flüchtling,

Sei frei und ohne Fährd',

Nachdem die Gottesmutter

Dir selber Schutz gewährt.«


»Hiefür laßt diese Stelle,

Uns Ihrem Dienste weihn!

Einst möge nur die Heil'ge

Auch uns so gnädig sein!«


Ein Kirchlein ward erbauet

Recht um den Stamm heran,

Er selber sollt' das Bildniß

Geradeso tragen fortan.


Er ragt als Thurm darüber

Und trägt der Glocken Getön,

Und drauf statt laubiger Krone

Des Kreuzes Immergrün.


Nun ist der Wald ein Tempel,

Die Eiche ein Altar;

Statt Waidgethieres lagert

Dort manche Wallerschaar.


Und wo ein Hirsch gefunden

Einst Schutz vor Jägers Erz,

Da findet Hilf und Zuflucht

Manch müdgehetztes Herz.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 451-452.
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