436. Die Entstehung des Passionsspiels zu Oberammergau.

[457] Vat. Mag. v. Dr. Fr. Mayer II., 155.


Kurz nach dem dreißigjährigen Krieg wurde Bayern von der Pest verheert. Da versammelten sich die fleißigen und frommgesinnten Männer von Ammergau und beschlossen, daß Niemand über die Berge, welche das Thal vom übrigen Lande trennen, hereingelassen werden sollte, noch Jemand aus dem Thale selbst hinabginge über die Berge, um wiederzukehren, bei großer Strafe, damit nicht das Pestgift nach Oberammergau käme. Das Gebot wurde bis zum Kirchweihfeste treulich gehalten. Aber nun ging es einem von Ammergau, der seit Monaten als Taglöhner in Eschenlohe jenseits des Ettaler Berges arbeitete, schwer zu Herzen; er sehnte sich, die[457] Feiertage bei seiner Familie zuzubringen und versuchte es, ungeachtet des strengen Verbots, sich bei der Nacht auf verborgenen Wegen über das Gebirg zu schleichen. Unglücklicherweise gelang ihm dieß, aber er trug die Krankheit zurück in seine Hütte und starb schon am dritten Tag; das Pestübel aber fing im Thale zu wüthen an. Die Ammergauer wendeten sich in solcher Trübsal zum himmlischen Arzt, empfahlen ihm ihre Seelen und Leiber in gläubiger Zuversicht und thaten das Gelübde, alle zehn Jahre mit großer Feierlichkeit und Andacht die Leidensgeschichte des Erlösers bildlich darzustellen, wofern das Pestübel von ihnen genommen würde. Ihr Gebet wurde erhört und dem Sterben wie durch ein Wunder Einhalt gethan, so daß bald fröhliches Leben auf der Stätte des Todes zurückkehrte. In ihrer Freude vergaßen jedoch die Ammergauer das Gelübde nicht und stellten schon im nächsten Jahr auf einem großen Theater die Passionsgeschichte nach der Weise der alten Mysterienspiele unter großem Zudrang von Fremden aller benachbarten Länder dar. Das fromme Schauspiel wurde seitdem fleißig wiederholt und zog mit den vielen Zuschauern auch viel Geld in das Thal, denn die Fremden kauften dabei von den künstlich verfertigten Waaren, um den Ihrigen ein Andenken mit nach Hause zu bringen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 457-458.
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