457. Münchner Bierbeschau.

[473] Von G. Görres.


Schon ziemlich lange mag es sein

Man zählte just das Jahr,

Als noch die alte Redlichkeit

In Deutschland üblich war.


Nun damals galt in München auch

Ein hergebrachtes Recht,

Wie man das neue Bier beschaut,

Der Brauch war gar nicht schlecht.


Drei Männer sandte aus dem Rath

Die Münchner Bürgerschaft

Zum Bräuer, ob das junge Bier

Geerbt des alten Kraft.


Ihr meint, die Herren aus dem Rath

Die tranken nun aus Pflicht,

Das mag die Sitte jetzo sein,

Doch damals war sie's nicht.


Sie goßen's auf die Bank fein aus

Und setzten drauf sich frei,

Und kleben mußte dann die Bank,

Erhoben sich die drei.


Sie gingen drauf mit selber Bank

Vom Tische bis zur Thür

Und hing die Bank nicht steif und fest,

Verrufen war das Bier.


Doch wie hier unterm Mondenschein

Auch gar nichts kann bestehn

Und sich die Welt nur immerfort

Im Kreise pflegt zu drehn,


Es kam die aufgeklärte Zeit

Und die war dünn und karg

Und mit der deutschen Redlichkeit

War's lang nicht mehr so arg.


Und matt und dünn und aufgeklärt

Ward da das Bier halt auch

Und somit nahm ein Ende dann

Der alte schöne Brauch.


Vielleicht daß Gerst und Hopfen man

Zu wenig heute pflegt,

Vielleicht auch, daß vom Pfennigkraut

Zu viel hinein man legt.
[473]

Doch wird noch von der Bürgerschaft

Der alte Brauch geehrt

Nur hat sie ihn wie anders auch,

In's Gegentheil gekehrt.


An ihnen klebt die Bank nicht mehr,

Drum kleben sie an ihr,

Und sitzen drauf wie angepicht,

Als wär's das alte Bier.


Und wer den Krug zum Munde führt,

Der setzt ihn nicht mehr ab,

Bis er den letzten Tropfen hat

Gebracht in's sichre Grab.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 473-474.
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