53. Radiana zu Wellenburg.

[50] Die Augsb. Geschichtschreiber Stengel, Kham, Gullmann u.A. – P. Braun Lebensgeschichten, S. 183. Fr.Loe maler. Skizze, S 20 v. Raiser Antiquar. Reise von Augusta nach Viaca, S. 34.


Ein Stündlein von Augsburg entfernt, liegt auf einer Anhöhe das alte Schloß Wellenburg1, vormals dem edlen Geschlechte der Portner gehörig. Dort lebte um das Jahr 1290 eine fromme Magd, Radiana oder Radegundis mit Namen. Nicht weit vom Schlosse an der Stelle, wo später die St. Radegundis-Kapelle stand, war ein Siechenkobel (Spital). Dahin richtete die fromme Jungfrau alltäglich ihre Schritte, sobald sie die Geschäfte ihres Dienstes abgethan hatte. Alles, was sie selbst am Munde ersparen konnte, Milch und Butter, Brod und Fleisch, trug sie den armen Kranken unbemerkt in ihrem Körblein zu. Dennoch wurde sie von arglistigen Augen beobachtet und bei ihrem Herrn des Diebstahls bezüchtiget. Also stellte sich dieser eines Tages auf die Lauer, die untreue Dienerin auf der That zu betreten. Nichts Böses ahnend, kam sie daher, ein Körblein am Arm, in welchem sie abermals das von ihrem Munde Ersparte den Kranken zutrug. »Wohin mit Deinem Korbe? wohin Du Treulose mit gestohlenem Gut?« so donnerte ihr das Wort des Gebieters entgegen. Betroffen erwiederte Radiana, sie trage nur Kamm und Bürste zur Reinigung der Kranken in ihrem Korbe. Zornerfüllt befiehlt ihr jener den Korb zu öffnen, mit Widerstreben und Zittern gehorcht Radiana. Doch siehe, was Lüge ersonnen, hat sich im Korbe wunderbar zugetragen. Anstatt des Brodes und der Butter sind nur Kamm und Bürste zu sehen. Zufrieden läßt der Herr die Geprüfte des Weges ziehen, allein diese sollte die Strafe der Lüge hart erstehen. Denn, als sie des Abends wieder nach Hause wandelte, ward sie plötzlich von gierigen Wölfen angefallen und so jämmerlich zugerichtet, daß man sie für todt in die Wellenburg brachte. Dort ist sie nach drei Tagen eines seligen Todes entschlafen. Die Portner, damals Besitzer der Wellenburg, wollten den Leichnam der frommen Magd in ihr Familienbegräbniß nach Augsburg bringen, allein das vorgespannte Zugvieh blieb bei dem Siechenkobel stehen und konnte nicht weiter gebracht werden, worauf Radiana dahin begraben worden.

1

Urkundlich stets Wellenburg; nicht Wöllenburg.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 50-51.
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