6. Das Schloß der Zwerge.

[8] Von Schöppner. – S. Beschreibung vom Untersberg, Brixen, 1850.


Ein Bauer hat erzählt: ich fuhr ein Fuder Wein

Am Untersberg vorbei von Salzburg nach Hallein.


Es war bei Niederalm am Brückenkopf gerade,

Als mir von ungefähr ein graues Männchen nahte.


»Grüß Gott! mein lieber Hans, wohin mit deinem Wein?

Ei folge mir zum Berg, ich will dein Käufer sein.«


Ich schüttelte den Kopf, der Antrag schien mir Posse,

Und trieb mit hellem Knall zu rascher Fahrt die Rosse.


Da springt der Zwerg mit Wut hervor und donnert: halt!

Und zähmt der Rosse Mut mit riesiger Gewalt.


Mir gruselte vor Angst, es sträubten sich die Haare:

»In Gottes Namen denn! befehlet nur, ich fahre.«


Das Wichtlein ging voraus, ich fuhr bedenklich nach,

Da überkam mit Macht ein Schlaf mich allgemach.


Doch hielt der Schlaf nicht lang, und als ich jetzt erwachte,

Ein wunderschönes Schloß vor meinen Augen lachte.


Auf einem Felsen hoch gebaut von Marmelstein,

Die Fenster von Krystall im Morgensonnenschein.


»Wolan, mein lieber Hans!« begann hierauf der Kleine,

»Das ist der Markt, dahin du fährst mit deinem Weine.«


So fuhr ich durch das Thor mit hellem Peitschenknall,

So daß des Hofes Raum erklang vom Wiederhall.


Da kamen wie geweckt viel hundert kleine Leute

Und hüpften auf mich zu und grüßten voller Freude.


»Willkommen lieber Hans! sei froh und wohlgemut,

Bei uns ist Ueberfluß und Küch' und Keller gut.«


Sie spannten hurtig dann die Rosse von dem Wagen

Und sorgten in dem Stall für deren leeren Magen.


Mich selber brachten sie in einen Speisesaal,

Darinnen duftete der Tisch vom besten Mahl.
[9]

Doch schmeckte leider mir kein Trinken und kein Essen,

Ich konnte meinen Wein und Wagen nicht vergessen.


Und als ich nun gespeist, da zog der Zwerge Troß

Mit Ungestüm mich fort, zu zeigen mir das Schloß.


Ein Flügel that sich auf, da ward ein Saal betreten

Geschmückt mit Stickerei auf seidenen Tapeten.


Doch war ein zweiter Saal noch herrlicher an Pracht,

Die Decke und die Wand von purem Gold gemacht.


Die Fenster von Krystall und spiegelglatt der Boden

Mit Steinen wohlgefügt, mit weißen und mit rothen.


Und an den Wänden rings erblickt' ich Ritterwehr

Und Waffen mancherlei von edlem Golde schwer.


Und mitten in dem Saal da standen erzgegossen

Der Riesenbilder vier, mit Ketten angeschlossen.


Und ob den Vieren stund ein gülden Königlein,

Das schien der Recken Herr und Oberster zu sein.


Da fragt' ich einen Zwerg, was dieser Bilder Sinn sei;

Der gab mir den Bescheid, daß Wissen kein Gewinn sei.


So sah ich manchen Saal von wunderbarer Pracht,

Doch endlich traten wir in einer Wölbung Nacht.


Nur spärlich drang der Tag durch eines Loches Spalte,

Ich schaute flugs hindurch in eines Hofes Halde.


Da sah ich eine Schaar der schönsten Frauen gehn,

Dergleichen nie mein Aug' hat Schöneres gesehn.


Doch faßte flugs ein Zwerg mich an dem Zopf behende

Und machte süßem Schaun gewissenhaft ein Ende.


Darnach gelangten wir in eines Kellers Raum,

Der war so riesengroß, ich sah das Ende kaum.


Da lagen ohne Zahl die Fässer goldnen Weines,

Der Nektar von Tirol, der Himmelsthau des Rheines.


Da setzten sich die Herren auf eine Bank von Stein

Und sagten schönen Dank für meine Fuhre Wein;


Und Einer kam daher mit schwerem Sack beladen

Und zählte auf den Tisch die prächtigsten Dukaten.
[10]

»Das nimm,« begann der Wicht, »an Zahlung für den Wein!« –

Ich schob mit großem Dank die goldnen Füchse ein.


Darauf entließen mich die Wichtlein aus dem Schlosse,

Schon harrten wolgeschirrt am Wagen meine Rosse.


Ich schwang mich lustig auf und fuhr in leichtem Trab

Des goldnen Glückes froh den Wunderberg hinab.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 8-11.
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