83. Der Natternberg.

[82] Mündlich.


Deggendorf genüber am rechten Ufer der Donau erhebt sich der Natternberg, auf dessen Gipfel noch die Trümmer eines Schlosses, des Grafen von Bogen, stehen, in welchem Herzog Heinrich der jüngere von Landshut, genannt der Natternberger, erzogen ward. Wie dieser seltsame Felsen mitten in die Donauebene gekommen, weiß die lebendige Volkssage zu berichten. Die Deggendorfer waren vor Zeiten ein braves, gottesfürchtiges Völklein, daran der Teufel, wie natürlich, kein Wohlgefallen fand. Schon lange war er bemüht, denselben einen recht boshaften Streich zu spielen. Da fand er im Land Italia einen gewaltigen Felsblock, gerade hoch und breit genug, um einen Strom wie die Donau zu stemmen und[82] ihm ein anderes Rinnsal anzuweisen. Also faßte er das schöne Felsstück und trug es in raschem Fluge durch die Lüfte bis in die Gegend, wo Deggendorf liegt. Schon freute er sich in Gedanken, den Berg in die Donau zu schleudern und das fromme Deggendorf durch Ueberschwemmung zu vertilgen: da klang urplötzlich das Aveglöcklein vom nahen Kloster zu Metten herüber, und in demselben Augenblick ließ der Böse den Felsen wie gelähmt in's flache Land an der Donau fallen. Und daß diese Geschichte sich also wahrhaftig zugetragen, beweiset der Natternberg, welcher noch heutiges Tags an derselben Stelle ruht.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 82-83.
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