475. Heinrich mit dem goldenen Wagen.

[2] Von KarlGödecke.Annal. Saxo p. 660. Ludewig reliq. VIII., 150 u.A. bei Grimm d.S. II., 518. Falkenstein bayer. Gesch. II., 148. Zschokke I., 164.


1.

»Frei bin ich, was ich hab', ist mein,

Von Keinem trag ich Lehn,

Und Keiner soll den freien Mann

Den Nacken beugen seh'n.


Mich ruft der Kaiser nicht zum Krieg

Von diesem freien Grund,

Und wenn ich streite, schlag' ich mich

Für meine Freiheit wund.


Nicht um der Erde ganzes Gold

Laß ich den Schatz von mir.

Frei bleib', o Sohn, dem Vater treu,

Nur du gebiete dir!


Aufwiegt der Erde Gold mir nicht

Dies einz'ge große Gut,

Für meine Freiheit bin ich stark,

Verspritz' ich kühn mein Blut.
[2]

Und wenn ich sterbe, lieg' ich einst

Im stillen, freien Grab;

Die freien Eichen streu'n darauf

Ihr grünes Laub herab.«


2.

»O Schmach! der Sohn hat sich entehrt!

Nicht ruhig kann ich's seh'n,

Er tauscht die Freiheit mit dem Joch,

Er wirbt um Kaiserlehn.


Mag Knecht er sein! Ich bleibe frei

Und suche mir das Grab,

Und wer mich liebt, der steigt mit mir

Zum dunkeln Berg hinab.


Da klafft der tiefe Bergesspalt

Vor unserm Fuß! Wohlan!

O zaudert nicht! o schaudert nicht!

Ich schreite kühn voran.« –


So sprach der edle Eticho

Den zwölf Gefährten sein;

Mit Zürnen schritt er in den Berg,

Sie schritten hinterdrein.


Da schlug der Berg mit Krachen zu,

Verschlingend seinen Raub;

Der Boden schüttert; Eichen streu'n

Herab ihr grünes Laub.


3.

Der Kaiser sitzt im hohen Saal,

Das fromme Heldenbild;

Sein edles Angesicht voll Mut,

Sein Auge klar und mild.


Die schönste Judith, Eticho's,

Des Zorn'gen, Töchterlein,

Des frommen Ludwig Ehgemahl,

Führt ihren Bruder ein.


Sie führt ihn vor des Kaisers Thron,

Da neigt er sich und spricht:

»Nimm, Herr, den treusten Diener auf

In deine Lehenspflicht.


So viel mit gold'nem Wagen ich,

Dieweil du schlummerst, kann

Umfahren, gib zu Lehen mir,

Dem treusten Lehensmann.«


Der Kaiser lacht und denkt dabei

Wohl ist er reich, doch nicht

So reich, daß er vollbringen kann,

Wovon er prunkend spricht.


Dann spricht er laut: »Wie du gesucht,

So mag es wohl gescheh'n,

Was du mit gold'nem Wagen umfährst

Gehöre dir zu Lehn.«


4.

Der Kaiser schläft im hohen Saal

Zur heißen Mittagszeit;

Der edle Heinrich fährt indeß

Durch Oberbayern weit.


Beflügelnd seinen Wagen zieh'n

Die Rosse mit feurigem Mut;

Ein kleiner Wagen von eitlem Gold

In seinem Schooße ruht.
[3]

Und wenn der Renner Kraft erlahmt,

Sind and're frisch zur Hand;

Sie führen den edlen Heinrich weit

Durch's schöne Oberland.


Sie führen ihn im Flug vom Lech,

Bis wo die Amper fließt,

Bis wo die Ilm den frischen Quell

In's blüh'nde Thal ergießt.


Da stieg zuletzt ein steiler Berg

Kahl, sonnenheiß empor,

Daß Heinrich, ihn beschauend, fast

Den frischen Mut verlor.


Da spannt er rasch ein Mutterpferd

Dem leichten Wagen vor,

Er schwingt die Geißel, treibt das Roß

Vom Thal zum Berg empor.


Vergebens! wie die Mähre sich

Mit allen Kräften müht,

Der Wagen rollt zurück in's Thal;

Die Sonne drückender glüht.


»Nun soll in Ravensburg kein Herr,

Als nur in höchster Noth,

Ein Mutterpferd gebrauchen je,

Sonst treff' ihn jäher Tod!«


Der Edle lenkt im Zorn zurück

Den Wagen zum Palast:

Wo Kaiser Ludwig grad' erwacht

Von sanfter Mittagsrast.


Der ruft dem Schwäher lachend zu:

»O weh! verrathen ist,

Wer solchem Schalke sich vertraut

Und seiner argen List.


Behalte, was du hier gewannst

Mit deinem list'gen Brauch;

Und was ein Mann versprochen hat,

Erfüllt und hält er auch.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 2-4.
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