487. Der Sturm auf dem Inselsee.

[23] Von d. vor.


Zwischen Kempten und Immenstadt zieht sich bei dem Weiler Herzmanns in mehreren Windungen gegen Westen der sogenannte Inselsee hin, auch Niedersonthofer-See genannt, weil dieses freundliche Dörfchen recht malerisch an seinem Nordwestende gelegen ist. Auf einer weit vorragenden Landzunge steht noch eine hohe Seitenmauer eines in Ruinen gefallenen Schlosses, das einst den Fürstäbten Kemptens und den Herrn des dortigen Conventes zum Aufenthalte diente, wenn sie im Herbste in den umliegenden Forsten des edlen Weidwerkes pflagen. Da wissen die alten Leute von »Fürstes Zeiten« her noch manch wunderliche Mähre zu erzählen von argem Spuck, der da sein Unwesen getrieben. Wie einmal, als die Herrn eben beim Mahle saßen, der »Geist,« erzürnt über ihr weltliches Treiben, einen furchtbaren Orkan über den See hin erregt habe, so daß die schäumenden Wellen mit rächendem Ungestüm über die Ufer sich wälzten, und die Grundmauern des Jagdschlosses beleckten. Wie[23] der heulende Sturm die mächtigsten Linden entwurzelt, die Jagdwagen in den See getrieben, Scheiter Holz umhergeschleudert und Herrn und Diener in einen solchen Schrecken versetzt, daß sie nichts anderes als den jüngsten Tag genaht glauben. Wie die Jäger auf einmal zu Büßern umgeschaffen worden und auf den Knieen um die Absolution gebeten, bevor ihr Sterbstündlein schlüge. Nur Einer von den Patres sei dabei gewesen: der habe von all diesem Spuck nichts gehört und nichts gesehen; es sei aber ein ganz unbescholtener Priester gewesen und habe mit den Andern nicht mitgemacht. Von dieser Zeit habe kein Mensch mehr im Schlosse wohnen können, und es sei zerfallen und liege in Trümmern bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 23-24.
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