488. Der Küchelnfresser in Hinterstein.

[24] Hinterstein Filial von Hindelang. – Jocham im Kal. f. kath. Christen. Sulzbach 1852, S. 113.


Von Hinterstein führt ein Fußsteig hinüber in's Thanheimerthal, das schon österreichisch ist, dessen Bewohner aber eben so gut wie die Hindelanger zu den Urallgäuern gehören. Da drüben sind sehr arme Leute, viel ärmer als die Hintersteiner, die bei ihrer Genügsamkeit und Sparsamkeit recht gut auskommen, und selbst den Armen aus der Umgegend Almosen reichen können.

Da ist denn auch einmal ein Bettelmann herübergekommen aus dem Thanheimerthal oder gar aus Tyrol nach Hinterstein, da man hier gerade die Kirchweih feierte. Der fing an in den Häusern herum Kücheln zu sammeln, bekam auch im Ganzen sieben und siebenzig Kücheln zusammen, und außerdem auch noch, was er gerade nothwendig hatte, um seinen allergrößten Appetit zu stillen. Die sieben und siebenzig Kücheln schob er alle in seine Betteltasche, um sie nach Hause zu bringen und auf längere Zeit etwas zu haben. So machte er sich dann auf den Weg, nicht hungrig, aber auch nicht übersatt. Wie er den Fußsteig neben dem Wasserfall erreicht hatte, da wandelte ihn gleich in der ersten Krümmung schon eine Lust an nach den sieben und siebenzig Kücheln, und er meinte, er sollte jetzt wohl eines davon essen; auf eines käme es gerade nicht an.[24] Und wirklich verzehrte er im ersten Ranke (Krümmung) den Kuchen, welcher ihm aber so vortrefflich schmeckte, daß er im zweiten Ranke zum zweiten schritt und denselben mit eben so großem Appetit verzehrte. Und wie er im dritten Ranke das dritte und im vierten das vierte der Kücheln verzehrt hatte, da meinte er, es wäre doch eine nicht zu verachtende Herzstärkung, wenn er in jedem Ranke so eines von den Kücheln verzehren würde. Der Weg wäre dann lange nicht so langweilig, und bis er mit den sieben und siebenzig Kücheln fertig wäre, wäre er auch mit den sieben und siebenzig Ränken oder Krümmungen fertig und hätte das höchste erstiegen. Und so that er denn auch wirklich, und wie er die sieben und siebenzigste Krümmung erstiegen und das sieben und siebenzigste der Kücheln gegessen, da hat es ihm den Magen »verschränzt« oder »verrissen,« so daß er zerplatzte. Die Einen sagen so, die Andern sagen anders, aber darin kommen Alle überein, daß er todt geworden sei, ob am Essen oder am Steigen oder an beiden zugleich, kann man nicht bestimmt sagen. Und seit dieser Geschichte hütet sich Jeder, der da hinaufsteigen muß, unterwegs Etwas zu essen; er fürchtet, es gehe ihm, wie dem Küchelfresser aus Thanheim.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 24-25.
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