490. Das Ehren-Männlein.

[28] Mündlich.


Wenn man von Lindau in nordöstlicher Richtung über Reuti, die Staig und das Wannenthal geht, so kommt man in eine enge Thalschlucht, durch welche ein Wasser rinnt, welches weiter unten in Rickenbach ein Mühlrad in Bewegung setzt. Im Munde des Volkes heißt diese Thalschlucht das »Beseriiter Tobel,« weil weiter oben und außerhalb des Waldes das Pfarrdorf Bösenreuti liegt. Von jenem Bächlein bis auf die Höhe hinauf führt ein gar freundlicher Weg durch das Waldesdunkel über hundert und etliche Stufen. In jenem Tobel nun soll vor Zeiten das Ehre-Mändle, eine Art von Wichtelmännchen oder Kobold sein Wesen getrieben haben. An schönen Sommertagen pflegte es all' seine Schätze und Reichthümer – worunter besonders sehr schöne silberne Löffel und Teller – vor seine Behausung herauszutragen, sie da zu putzen und förmlich zur Schau auszustellen, ohne sich dabei eine Ruhe zu gönnen; immer gab es wieder hier oder dort was zu wischen und abzustauben. Wollte man sich ihm nähern, so war im Nu die ganze Bescheerung verschwunden. Die Geschäftigkeit dieses Gnomen soll immer lang anhaltendes schönes Wetter angezeigt haben; deßhalb pflegte man Abends nach dem »Heuen« ein Stücklein Brod auf die Thürschwelle zu legen, ihm dadurch seinen Dank auszusprechen. Man sah das Ehre-Mändle auch[28] zur Winterszeit nach eingetretener Dunkelheit nicht ungerne in Häusern und Stallungen, da sein Erscheinen immer Glück gebracht. Seit dem Schwedenkriege soll es nicht mehr gesehen worden sein. Auch geht die Sage, daß einige junge Bursche, in der Absicht, das gute Männlein zu necken und herauszulocken, eine lebendige Ente in seine Höhle hineingeworfen haben, welche eine halbe Stunde weiter östlich im Lettenbach fludernd wieder gesehen worden sei. Das kann aber nicht wohl sein. Erzähler gab sich selbst die Mühe, hinein zu kriechen, fand aber keine Fortsetzung dieser Höhle oder einen anderen Ausgang. In einer alten im Jahr 1626 von dem Maler Rauh zu Wangen verfertigten sehr genauen Karte der Umgegend heißt es ganz deutlich »Erzmann-Loch,« was den Erzähler auf den Gedanken brachte, diese Höhle möchte vielleicht der Eingang zu einem aufgegebenen, nun ganz verlassenen und eingestürzten Schachte sein. Das Ganze hat von Außen mehr das Ansehen eines Dachsbaues, und wird zur Stunde noch Ehre-Mändles-Loch genannt. Sollte irgend Jemand es aufsuchen wollen, so müßte er sich an die Insassen des zunächst gelegenen Bauernhofes wenden, wo man es beim »Wagner« im Tobel heißt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 28-29.
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