491. Die Hexensteine bei Lindau.

[29] Mündlich.


Als die ersten Verbreiter des Christenthums am Bodensee werden die Heiligen Columbanus und Gallus genannt. Ersterer ist jetzt der Patron Rorschachs, letzterer der St. Gallens. Als Sankt Gallus einst in der Stille der Nacht am Seeufer stund und seine selbst gestrickten Netze in's Wasser warf, hörte er einen Dämon, welcher von einem benachbarten Berge herab mit lauter kreischender Stimme einem andern Geiste mit Namen zu rufen schien, der in der Tiefe des See's sich aufhielt. Der letztere antwortete: »Hier bin ich!« Da sprach der auf der Höhe: »Wohlan denn, so erhebe dich zu meiner Hülfe, auf daß wir jene Fremdlinge vertreiben, die, aus der Ferne daher kommend, meine Bilder im Tempel zerbrochen haben, und das Volk, das mir diente, zu sich abgewendet. Auf! laßt uns die gemeinsamen Feinde über die Gränze jagen!« Der im See[29] antwortete: »Wehe, daß du die Wahrheit sprichst, das erfahre ich an mir selber, denn Einer von ihnen setzt mir im Wasser zu und verödet meine Reiche; nie vermag ich seine Netze zu zerreißen, noch ihn selbst zu täuschen, weil auf seinen Lippen unaufhörlich die Anrufung des wahren Gottes schwebt.« Da ermannte sich der heilige Mann, verwahrte sich mit dem Zeichen des Kreuzes, bedräute die Teufel in Christi Namen und eilte zu seinem Meister Columban in die Zelle, zu erzählen, was er gehört. Dieser berief alsogleich die Brüder zusammen und kaum hatten sie angefangen zu beten und zu lobsingen, als sie auch das gräßliche Geschrei der Dämonen vernahmen, die mit verworrenen Klagen über die Berge und den See sich flüchteten. Einer jener Verscheuchten, nach der Sage eine Hexe, soll in der Bedrängniß in drei Absätzen über den See gesprungen und sich dann weiter salvirt haben.

In der nächsten Umgebung der Stadt stehen zwei Steine im See, welche beide den Namen »Hexenstein« führen; der kleinere befindet sich in der Umfassung der Seebadeanstalt zunächst der Römerschanze, der andere aber westlich der Sternschanze – außerhalb der Pallisadenreihe – unweit davon, wo der Eisenbahndamm die Stadt berührt. Der letztere Stein ist der größere, ragt bei niederem Wasserstand drei bis vier Fuß über die Wasserfläche hervor und ist ein sehr beliebter Tummelplatz der Möven. Besagte Hexe soll nun vom Schweizerufer mit einem Schritt zuerst auf den kleineren, mit dem zweiten auf den größeren und mit dem dritten Schritt an's Land gesprungen sein. Auf beiden Hexensteinen soll ehedem der Abdruck eines menschlichen Fußes – und zwar mit der Spitze nach der Schwabenseite gekehrt – sehr deutlich zu erkennen gewesen sein.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 29-30.
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