511. St. Kastels Heilthum.

[49] Von AdalbertMüller. – Die Geschichte vom Esel ist am Chore der Kirche gemalt.


Einst kam ein wälsches Mönchlein in's Land

Und pilgerte aufwärts am Isarstrand;

Der Schwarzrock ging müd und gekrümmt einher,

Denn auf dem Rücken trug er schwer

Ein Särglein in Gold und Steine gefaßt.

Und wie er so langsam fürbaß zieht,

Er tief im Thal eine Mühle sieht;

Daneben im Garten ein Eslein grast,

Ein feines Thier, gar feist und rund.

Das Mönchlein besinnet sich zur Stund'

Und geht hinab und ruft ins Haus:

»Freund Müller, erheb dich und komm heraus!«

Der drinnen fragt: »Was begehrst du mein?«

Der Mönch versetzt: »Dein Eselein

Gib mir; denn sieh! ich trage schwer

Und komme fern von den Bergen her,

Und fern noch ist meiner Reise Ziel.«

Der Müller staunt und sträubt sich viel:

»Ei,« spricht er, »gäb' ich den Esel dir,

Wer trüge Korn und Gemalm hinfür?«

D'rauf sagt das Mönchlein seinen Spruch:

»Wir lesen im heil'gen Bibelbuch:

Als Jesus gen Jerusalem fuhr,

Er fand eine Es'lin auf der Flur,

Die hat er zu einem Ritt begehrt,

Der Bauer, ein Heide nur, gewährt'

Alsbald dem Herrn; und du widersinnst,

Ein Christ, meinem Heiligen den Dienst?

Denn wisse, in diesem Särglein ruht

Sankt Kastel's Heilthum – sein Leib und Blut.«
[49]

Der Müller hört's, und auf's Angesicht

Er fällt und frommen Glaubens spricht:

»Gelobt ist Gott, der solcher Gnad'

Mich armen Sünder gewürdigt hat!

Nimm hin, deine Fahrt sei benedeit!«

Drob ist der Mönch gar hoch erfreut;

Er setzt des Särglein hin ungesäumt

Und spricht, indeß er den Esel zäumt

Und packt, ein segnend Scheidewort,

Und macht sich auf und wandert fort.


Und unverdrossen, Berg auf Berg ab,

Geht's Es'lein seinen raschen Trab,

Daneben der Mönch mit lautem Sang

So pilgern sie den Strom entlang

Den ganzen Tag und kommen spät,

Da schon die Sonne niedergeht,

Am Fuße eines Hügels an.

Und sieh! jetzt führet sie die Bahn

In eines Hohlwegs Schacht hinein;

Bald stoßen sie auf einen Stein –

Er lag breit über den Engpaß her –

Und können nicht vor, nicht rückwärts mehr.

Das Es'lein steht und spitzt das Ohr

Und schnaubt; der Mönch springt hurtig vor

Und hilft dem Thier, lenkt's kunstgerecht,

Daß er's zum Sprunge reizen möcht':

Umsonst! wie er sich quält und müht,

Der Esel steht und regt kein Glied.

D'rob zürnt das Mönchlein und schwingt den Stab

Und prügelt den armen Langohr ab;

Und sieh! das Thier ächzt, schwankt und fällt

Zu Boden, zuckt – und liegt entseelt.


Der Pater steht fast betroffen da

Und wundert sich höchlich, wie's geschah

Daß also plötzlich dem schwachen Schlag

Das flinke, rüstige Thier erlag.

Und trauernd nimmt er des Packwerks Last

Dem Todten ab; und als er faßt

Und stellt auf den nahen Stein hinum

Den Sarg mit Sankt Kastel's Heiligthum, –

Da fängt's, o Wunder! hoch in der Luft

Und wieder tief in des Berges Kluft[50]

Mit hundert Glocken zu läuten an;

Die Sterne verlassen ihre Bahn

Und schweben funkelnd herab und reih'n

Sich um den Sarg zum Heiligenschein;

Und reg' und laut wird's rings im Wald,

Ein tausendstimmiger Chor erschallt,

Als säße auf jedem Zweig und Blatt

Ein Engel und säng' das Glorificat.


Den Lobgesang, das Festgeläut

Vernimmt man im Lande weit und breit.

Die Gläubigen folgen treu dem Schall

Und kommen und seh'n die Wunder all;

Und jeder des Himmels Gnade preist,

Und jedem offenbart der Geist,

Daß, wo das Es'lein verschied am Stein,

Der Heilige wolle begraben sein.

Und von des Glaubens Begeisterung

Ergriffen regt sich Alt und Jung,

Karrt, zimmert, gräbt, trägt Steine bei

Und rührt geschäftig des Mörtels Brei

Und alsbald steigt's mit Thurm und Chor

Hoch über Sankt Kastel's Grab empor;

Und dicht daneben, demüthig klein,

Bau'n sie für Mönche ein Klösterlein,

Auf daß sie hier durch alle Zeit

Lobsängen Gott Sabaoths Herrlichkeit.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 49-51.
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