513. Legende von St. Wolfsindis zu Reisbach.

[52] Variante d. vor. Sage. Ebend. S. 70.


Wolfsindis oder Wolfsine, ein edles Fräulein aus dem Schlosse Warth, lebte fromm, sittsam und eingezogen. Als das Land von Kriegsvölkern besetzt war, lag der Anführer einer feindlichen Rotte in dem Schlosse im Quartier. Dieser, von den Reizen der Jungfrau angezogen, machte ihr unehrbare Anträge, die aber von der züchtigen Jungfrau auf das Entschiedenste zurückgewiesen wurden. Da nun der Krieger seine ruchlose Absicht in Güte nicht erreichte, so wendete er Gewalt an und suchte die sittsame Jungfrau gewaltsam zu seiner Lust zu mißbrauchen. Das Fräulein entkam ihm mit vieler Mühe. Nun nahm der feindliche Kriegsmann zu einer List seine Zuflucht, um doch zum Ziele seiner bösen Wünsche zu kommen. Er stellte sich als wäre er abberufen, und hielt sich einige Zeit nach geschehener Abreise vom Schlosse entfernt. Als er glaubte, daß die schüchterne Taube wieder aus ihrem Verstecke hervorgekommen sei, erschien er auf Warth und forderte ungestümer als je die Erfüllung seines Begehrens, und als das sittsame Fräulein dieses abermals weigerte, verwandelte sich seine thierische Liebe in wüthenden Haß. Er ergriff die Jungfrau, band sie an den Schweif seines Rosses, setzte sich darauf und sprengte in wildem Toben Reisbach zu, und hier, ganz[52] nahe beim Markte gab die Martyrin der Keuschheit den Geist auf. Auf derselben Stelle aber entsprang eine Quelle voll Heilkraft, und steht jetzt das anmuthige Kirchlein.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 52-53.
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