535. Graf Aswin's Tanne.

[76] Von AdalbertMüller.


Die Königin des Waldes,

Die Tochter alter Zeit –

Es ist Graf Aswin's Tanne

Mit Feindesblut geweiht.


Wohl schaut sie hoch und herrlich

Hinein in's Böhmerland

Und sagt den Czechen drüben

Wer hier sie überwand.


In unsrer Väter Zeiten

Ging's traun! gar blutig her,

Da gab es wunde Schädel

Und Scharten in der Wehr.


Vom Böhmerwalde stürzten,

Gleich eines Bergstroms Schwall,

Sich Czeska's wilde Horden

Hernieder in das Thal,
[76]

Und breiteten zerstörend

Sich über Dorf und Flur,

Und Schutt und Leichen wiesen

Der Landverderber Spur.


Einst lag im Regengaue,

Von Sommers Gluth gereift,

Der Felder reicher Segen

In Garben aufgehäuft.


Das sah der Czechenherzog

Und stieß sofort in's Horn;

Es wuchs in seinen Wäldern

Dem Hungerer kein Korn.


Stracks wimmelten die Räuber

Hervor aus Wald und Schlucht

Und schleppten in die Fremde

Des deutschen Bodens Frucht.


Doch wachte treu Graf Aswin

Auf seinem hohen Schloß;

Der Czechen frevles Schalten

Sein mannlich Herz verdroß.


»Wie, ist der Deutschen Schlachtmuth

Erstorben und verweht,

Daß Fremde straflos ernten,

Was deutsche Hand gesä't?


Sind unsre Klingen rostig,

Ist unsre Kraft erlahmt?«

Er ruft's, und seine Wange

Von edlem Zürnen flammt.


Und seinen Ritterschaaren

Sprengt muthig er voran;

Sie stürzen auf die Feinde,

Zehn gegen hundert Mann.


In Lüften saust die Lanze,

Es blitzt der Schwerter Stahl,

Bald starrt von rothem Blute

Das Gras im Regenthal.


Das Beste thut im Kampfe

Das edle Grafenbild;

Von seiner Streitaxt Hieben

Zersplittern Helm und Schild.


Ein Wall von Leichen thürmet

Sich um den Helden her,

Die Feinde zagen, schwanken –

Bald steht kein Böhme mehr.


Und drauf und dran die Mannen

Mit lautem Siegesruf,

Was nicht die Schwerter würgen

Zermalmt der Rosse Huf.


Fortan kein Czechenfalke

Herab in's Bayern stieß;

Graf Aswin nun und immer

Der Schreck der Böhmen hieß.


An einer hohen Tanne

Der wackre Kämpe stand

Und schaute über's Schlachtfeld

Herab vom Hügelrand


Und seine blut'ge Streitaxt

Ergriff er siegesstolz,

Und hieb mit starken Schlägen

Drei Kreuzlein in das Holz.


So ward zum Siegesdenkmal

Die Tanne eingeweiht;

Noch grünt sie frisch und kräftig

Wie in der alten Zeit.


Denn Axt und Säge meiden

Den Stamm mit frommer Scheu,

Und selbst der Stürme Toben

Knickt keinen Ast entzwei.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 76-77.
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