549. Die Wallfahrtskirche zum Stock bei Walderbach.

[105] Zimmermann Kal. V., 333. Schuegraf in: Das Königreich Bayern etc. München 1846. II., 439.


Eine lüderliche Dirne scheute sich nicht, bei einer in der Klosterkirche zu Walderbach stattfindenden Kommunion Antheil zu nehmen in der Absicht, die heilige Hostie zu zauberischen Werken zu mißbrauchen. Kaum hatte sie die Hostie auf der Zunge, so löste sie dieselbe geschwind und unvermerkt vermittelst eines Tüchelchens davon ab, und wickelte sie ein. Im Nachhausegehen wollte sie denn nochmal um die Hostie umsehen; aber sieh! als sie das Heiligthum aus dem Tüchelchen hervorsuchte, erblickte sie an demselben einen Blutstropfen, und war von Stund an nicht mehr im Stande, das auf einem Baumstocke ausgebreitete Tüchelchen von dannen zu heben, – so schwer dünkte es ihr zu sein. Da nun vollends die heilige Hostie von selbst sich erhob, und in der Luft mit himmlischem Glanze schwebte, lief sie vor Furcht und Angst davon. Unweit des Stockes weidete eine Heerde Schaafe und Schweine, die von dem Wunder bezaubert herbeieilten, den Baumstock umringten und in stummer Andacht vertieft zu sein schienen. Als der Hirt darnach näher kam und selbst den ungewöhnlichen Glanz erblickte, eilte er zum Kloster, und zeigte das Wunder dort an, und sogleich begleitete der Abt1 das heilige Altarssakrament in einer feierlichen Prozession in die Kirche.[105] Als man aber des anderen Tages nach ihm sah, war es verschwunden und man fand es wieder auf dem alten Stocke. Dieß veranlaßte den Abt, auf der Stelle darüber eine Kapelle zu bauen, und die heilige Hostie zum ewigen Andenken in dem Tabernakel aufzubewahren. Bald aber ward das Wunder ruchbar, und fromme Wallfahrer eilten herbei von allen Gauen, und die Kapelle zum Stock ward bald eine schöne Kirche, welche erst in neuester Zeit, 1803/4, nach Aufhebung des Klosters verkauft und in eine Scheune verwandelt wurde. Noch sieht man an dem Plafond die im Jahre 1300 vorgefallene Geschichte mit der heiligen Hostie und das Weib in Gestalt einer Hexe abgebildet.

1

Abt Heinrich II. um 1300.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 105-106.
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