556. Wie der hl. Emmeram einen Greis von der Sünde führte.

[109] Nach Aribo:Rudhart im Archiv f.G.u.A.v. Oberfr. II., 103.


Ein frommer und kluger Mann wurde auf seiner Reise zum Grabe des heiligen Emmeram im Wald von Langwaid von Räubern gefangen, außer Landes geführt und an das Volk der Franken verkauft. Einer von diesen, der ihn erkauft hatte, verkaufte ihn wieder an Jemanden in den nördlichen Theilen des Volkes der Thüringer, der an der Gränze des Volks der Parathanen wohnte, die Gott nicht kennen. Seinem Herrn diente der Greis treu und eifrig. Er war ein Zimmermann und Mühlarzt und erwarb sich durch seine Geschicklichkeit die Gunst seines Herrn. So wirkte er drei Jahre lang nach Kräften. Da fügte sich's, daß einer[109] seiner Mitknechte starb, der eine junge, schöne und kinderlose Wittwe hinterließ. Nun befahl der Herr dem Greise, die Wittwe zu ehelichen. Dieser weigerte sich aus dem Grunde, weil er zu Hause schon eine Frau habe, und bei deren Lebzeiten keine andere ehelichen dürfe. Deßhalb eröffnete ihm sein Herr mit listigen und strengen Worten: »Wirst du sie nicht zum Weibe nehmen, so soll mir Gott dies und jenes zufügen, wenn ich dich nicht dem Volk der Sachsen ausliefere, welches noch so sehr dem Götzendienste ergeben ist.« Der Herr gedachte ihn durch diese Heirath noch mehr zu fesseln, und der allenfallsigen Flucht des so brauchbaren Knechtes vorzubeugen. So stritten sie täglich mit einander, und der Greis begriff wohl, daß er seines Herrn Macht und Befehl nicht verachten dürfe, weil man ihn sonst als Gefangenen an die Heiden abgeliefert haben würde, deren Leben er, wie er aus der Nachbarschaft wußte, wie den Tod fürchtete. Er willigte also nothgedrungen in die vom Herrn gewünschte Heirath. In der Hochzeitnacht, als sich das Weib unwillig über seine Ermahnungen von ihm abgewendet und eingeschlummert war, bat der Greis Gott um Hülfe. Im Schlafe erschien ihm St. Emmeram, und befahl ihm, wie er gelobt, zu St. Emmeram's Kirche sich zu begeben. »Wie werde ich,« antwortete er, »ohne Nahrungsmittel so viele unbekannte Länder durchwandern?« – »Steh auf,« sagte der Heilige, »zögere nicht, sondern nimm im obern Zimmer ein Brod, es wird bis zur Vollendung der Reise genügen.« – Der Greis that, wie ihm befohlen, und ging mit seinem Gewande angethan und mit seiner Axt von dannen. Seine Schritte lenkte er auf die Wüste eilig zu, ohne Unterlaß Gott bittend um eine glückliche Reise durch die Verdienste des seligen Märtyrers. Fünfzehn Tage lang führte ihn Gott wohlbehalten und sicher, und gesättigt und gestärkt durch das eine Brod dergestalt, daß er um die dritte Stunde jenes fünfzehnten Tages auf dem Berge oberhalb der Weinpflanzung stand, die bekanntlich zwischen der Donau und dem Regen gelegen ist.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 109-110.
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