558. Die Mähr vom Portal zu Sankt Jakob.

[111] Von d. vor., nach ders. Quelle.


Das Kloster zu Sankt Jakob

Ist ein uralter Bau,

Doch dran wie alt die Pforte

Gar Niemand wußt' genau.


Ein Sagenbuch urältest

Von einer Mähre raunt,

Die gleich nach Römertagen

Verblüffet ward bestaunt.


Aus Wälschland nach Regina

Siedelt ein Meißler um,

Getaufet, doch zwiespaltig

Ob Heid- und Christenthum.


Und der ein Werk, ein steinern,

Vom Geist gequält begann,

Der Zwiespalt seiner Seele

Sich spiegelte daran.


Sich zwei Gesellen meld'ten

Bei ihm zu gleicher Zeit,

Der Eine kam von Osten

Aus Norden kam der Zweit'.


Der Eine, blond und lieblich,

War im Gewerk ein Talk,

Der Ander' schwarz und düster

Gewandt, doch sehr ein Schalk.


Und lang mit ihrem Meister

Des Steinwerks pflegen sie,

Das, wie wir's da bestaunen

Gar sonderbar gedieh.


Aus Heiligen und Fratzen,

Aus Mensch- und Thiergestalt

Ein seltsamlich Gemische

Uebt's neckende Gewalt.


Der Blonde schuf am Tage

In Einfalt manig Bild,

Dieweil in den Tafernen

Der Schwarze zechte wild.


Mittnächtlich kam der Schwarze

Erbosten Eifers voll,

Und meißelte dazwischen

Grimassen grell und toll.


Und stets sich mühte wieder

Der Meister lobesam,

Daß zwischen Höll und Himmel

In's Werke Eintracht kam.


So ging es manche Jahre

Bis ward in blut'ger Nacht

Das Römervolk der Veste

Verjagt und umgebracht.


Während des Völkerkampfes

Ein Zweiter sich begab,

Auch in des Steinmetz Hütte,

Die ward des Meisters Grab.


Die Lehrling stritten wüthig,

Zerstörend ihr Gewerk,

Was, scheltend abzuwehren,

Nicht reicht des Meisters Stärk.


Sie schleudern nach den Köpfen

Werkstücke als Geschoß,

Dem Meister, der dazwischen,

Wird Steinigung zum Loos.


Die Hütt' mit Brand verlodernd

Einstürzt, ein Kohlenhauf,

Ein Lehrling fährt zur Tiefe,

Ein Lehrling himmelauf.
[112]

Sechshundert Jahre rollen

Grau'nhaft die Zeitenbahn,

Da kommt vom Land der Scoten

Ein Mönch, heißt Marian.


Für sich und seine Flüchtling,

Er baut ein Klösterlein,

Grundgrabend, siehe, findet

Bildtrümmer aus Gestein.


Als weiser Mann begreift er,

Durch einen Traum belehrt,

Erfreut der reichen Bilder

Symbolisch tiefen Werth.


Baumeisterlich er stellet

Die Säul'n und Bögen auf,

Verwendet d'rein die Bilder

Als Stützen und als Knauf.


Die Pfort' in das Gemäuer

Mit reicher Gliederung

Eintieft er, überwölbet

Von vieler Bogen Schwung.


Links d'ran und rechts dreigadig

Die Flügel breitet er,

Tiefst unten drin einfeldert

Die Fratzen voll Gezerr.


Der Einfalt Bilderspiele

Er säulenreihig fügt

In's mittlere Gestöcke,

Und d'rob die Bogen wiegt.


Das Werk des Meißelmeisters

Als seiner Schöpfung Kern,

Läßt prangen er zu oberst,

Die Zwölfe mit dem Herrn.


So stellt die Bilderfügung

Dazu des Meisters Ruhm,

Ob Welt und Höllen streiten

Im Sieg das Christenthum.


Des Meißlers Geist gebannet

Ist an sein Werk gewest,

Durch seines Werks Verständniß

Der Meister ward erlöst.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 111-113.
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