634. Der Nußkaspar.

[180] Mündlich.


Wenn man von dem Standpunkte aus, wo der Ritter Eppelein von Geilingen auf der Burg zu Nürnberg seinen Ritt gewagt haben soll, nach Norden luegt, so stellt sich dem Auge das berühmte Knoblauchsland dar, welches mehrere anmuthige Dörfchen in sich begreift, die von den Nürnbergern recht fleißig besucht werden.

In einer dieser Ortschaften lebte vor vielen, vielen Jahren ein Bäuerlein, Nußkaspar genannt, weil er die schönsten Nüsse auf seinen Nußbäumen hatte. Er trieb, wie seine Nachbarn, Gärtnerei und legte sich vorzüglich auf den Anbau jener Wurzel, welche der Gegend den Namen gab. Allein der gute Mann war kein Schooßkind des Glücks, und was er auch anfing, alles mißglückte ihm. Bald hatte er bedeutende Verluste durch böse Schulden, bald wurde er von Menschen heimgesucht, die es bequemer finden, auf Anderer Kosten aus dem Stegreif zu leben, bald zerstörte Wind und Wetter seine schönsten Garten- und Feldfrüchte, oder wurden ihm von neidischer Bosheit seine Nüsse abgeschlagen.

Dieses andauernde Mißgeschick mußte Kaspar'n endlich verdrießen und ihm die Lust nehmen, sich ferner zu plagen, zumal wenn er bemerkte, wie bei seinen Ortsnachbarn Alles auf's Beste gedieh und ihr Wohlstand täglich mehr emporblühte. Daher wurde er nach und nach in der Ausübung seines Gewerbes lässiger, fluchte und schwor mehr, als er betete, und ergab sich zuletzt dem Trunke so, daß er meistens, wenn er mit Knoblauch und anderen Gemüsearten zur Stadt gefahren war, leicht an Geld und mit schwerem Kopfe nach Hause kehrte. Durch diesen Lebenswandel wurde nicht nur sein Körper, sondern auch sein Vermögen so zerrüttet, daß er ein Kapitälchen nach dem anderen aufnehmen mußte, dann von seinen Gläubigern hart bedrängt wurde und zu ihrer Befriedigung bald ein Grundstück oder das Werthvollste seines ohnehin kärglichen Hausraths zu veräußern sich genöthiget sah.

Nach längerer Zeit war er am Tage vor dem neuen Jahre, wie gar oft, bis zum späten Abend in der Stadt geblieben, hatte sich einen tüchtigen Rausch angetrunken und taumelte den Burgberg herauf, um durch[181] das Vestnerthor heimzugehen. Unweit der Stelle, wo Christus am Oelberge abgebildet ist, setzte er sich rechts auf einen beschneiten Steinblock des Oelberges, um auszuruhen, und schlief ein. Die Zerrbilder getäuschter Hoffnungen umgaukelten ihn in lebhaften Träumen, so daß er öfters auffuhr und gräßliche Flüche ausstieß. Eben zeigte die Glocke vom nahen Sebaldusthurme den Eintritt der Geisterstunde, als er abermals auffuhr und in einem Zustande zwischen Schlaf und Wachen zähneklappernd vor sich hin murmelte: »Will mich Gott nicht retten, so muß mir der Teufel helfen.« Mit diesen Worten entwand er sich dem Schlafe, rieb sich die Augen und wollte aufstehen, allein ein gewaltiger Schrecken donnerte ihn auf seinen kalten Sitz zurück, denn vor ihm stand ein Mann in Jägertracht, der ihn anredete: »Ei, Alterchen, was treibst Du hier in frostiger Winternacht?« Kaspar gähnte und fragte: »Wo bin ich, Herr, und was begehrt Ihr von mir?« Darauf der Jäger: »Ich hörte im Vorübergehen, daß Du Hülfe bedarfst, und will sie leisten, wenn es in meinen Kräften steht, aber – ich will von Dir darum gebeten sein.« Kaspar schilderte unter beständigen Verwünschungen seine traurige Lage, fiel auf die Kniee und rief in unbegreiflicher Herzensangst: »Ich flehe Euch fußfällig an, helft mir, helft mir, und wäret Ihr der Böse selbst: mir gleich, wenn nur geholfen wird; denn Gott hat mich ohnedieß verlassen!« –

»Nun wohl,« entgegnete Jener, »wenn Du mir versprichst, weder Deinem Weibe noch einem anderen Menschen auch nur eine Sylbe davon zu sagen, so will ich Dein Beschützer sein und Dir helfen. So kehre denn getrost heim, pflücke von dem großen Nußbaume, der in der linken Ecke Deines Gartens steht, so viele Nüsse, als Dir beliebt, die werden sich in Gold verwandeln und Dich in den Stand setzen, nicht nur Deine Schulden zu bezahlen, sondern auch Dir ohne Mühe und Arbeit gut zu thun. Doch wisse, geht nur ein Wort von dieser Geschichte über Deine Lippen, so sinkst Du in Deine frühere Armuth zurück, wirst ein Raub der Verzweiflung und sollst auch im Grabe keine Ruhe finden. Du wirst dann aus demselben in jeder Sylvesternacht hervorgehen und an dieser Stelle hier ewig goldne Nüsse feil halten, ja auch Andere noch mit hinabziehen in den Abgrund des Verderbens und Deine Seele ist mir verfallen!«

Mit diesen Worten verschwand er. Daß der freundliche Helfer der leibhaftige Gott sei bei uns war, ist leicht zu errathen.

Kaspar war demnach in sehr schlimme Hände gefallen. Er ging noch halbtrunken mit schlotternden Knieen nach Hause. Sein Weib, das[182] ohnehin zu denjenigen gehörte, welchen Zanken und Murren zur anderen Natur geworden ist, empfing ihn vom Bette heraus mit Zank- und Schimpfreden. Er aber war stumm, wie ein Fisch, und dachte »Schreie, Du Zankteufel, so viel Du willst, habe ich nur einmal die goldenen Nüsse, dann wirst du schon anders singen!« Somit nahm er eine Laterne, zündete das Licht an und begab sich in das Gärtchen, stellte sich vor den bezeichneten Baum und schielte hinauf, um zu sehen, ob die Nüsse wirklich Gold seien. Endlich bestieg er zagend den Baum, als hing ihm eine Zentnerlast an den Füßen, griff zitternd nach einer der Früchte, füllte dann so schnell als möglich alle Taschen damit, und siehe, die Nüsse waren reines, funkelndes Gold. Hierauf versteckte er seinen Schatz in die Scheune und ging zu Bette.

Mit Tagesanbruch schlich der steinreiche Ehemann, dessen Gewissen nun schon eingeschläfert war, still von der Seite seiner Xantippe zum Geschenke des höllischen Jägers, um es theilweise in der nahen Stadt versilbern zu lassen, zahlte dann unter falschen Vorspiegelungen seine Schulden und lebte herrlich und in Freuden. Aber dieses Glück sollte von nicht sehr langer Dauer sein; denn der gute Nußkaspar vergaß im Taumel der Ausschweifungen nur zu bald, was er dem Meister Urian versprochen hatte. In einem traulichen Stündchen beichtete er seiner Gattin, welche indeß der unvermuthete Wohlstand ganz kirr gemacht und vollkommen versöhnt hatte, den ganzen Hergang der Sache. Als er nun nächsten Morgens sein Geld herbeiholen wollte, siehe, da war der Beutel federleicht, und statt harter Thaler nur Kohlenstaub und statt der goldenen nur natürliche und größtentheils wurmstichige Nüsse im Schranke. So von der Höhe des Glücks in das bitterste Elend herabgeschleudert, war ihm das Leben eine unerträgliche Last und er ermordete sich selbst. Der Teufel aber hielt besser Wort, als Kaspar; denn es ging Alles in Erfüllung, was er ihm für den Fall des Treubruchs vorausgesagt hatte. Als der Sylvesterabend wieder herbeikam, stand wirklich zur Mitternachtsstunde ein kleines Bäuerlein in der Tracht der Knoblauchländler, mit einer Kätze am Oelberge und ächzte leise unter verzweifeltem Händeringen: »Kauft Nüsse, kauft Nüsse!« –

Viele Jahre nach diesem Ereignisse saßen am Sylvesterabende mehrere Bürger nicht weit vom Oelberge in dem Gasthause zum Burggrafen bei einem Krüglein Waizenbiers und sprachen von diesem und jenem. Unter denselben befand sich auch ein redseliger Zinngießermeister, der wegen[183] seines Charakters und seiner Klugheit in Ansehen stand. Der Faden der Unterhaltung drehte sich um die alte Sage vom Nußkaspar am Oelberg. »Aberglauben, heidnische Finsterniß!« eiferte Meister Zinngießer, der Wortführer. »Wer wird so albern sein, an Teufel und Geister zu glauben?«

»Was, Nachbar?« fuhr ihm ein belesener Zirkelschmied in die Rede, »habt Ihr denn nicht gelesen, daß Doktor Martin Luther dem Teufel das Tintenfaß nachgeworfen hat? Ist Euch nicht bekannt, daß der Satan Jesum in Versuchung führte?« »Das ist etwas Anderes,« unterbrach ihn der Zinngießer weiter, und indem er weiter reden wollte, erscholl von der Wanduhr die zwölfte Stunde. Da schlug er unwillig in den Tisch hinein und schrie: »Damit Ihr aber seht, daß an der Sache nichts ist, und ich Jeden für einen Narren halte, der solche unsinnige Dinge glaubt, so wollen wir uns an Ort und Stelle begeben, um uns zu überzeugen. Mein Hab und Gut setz' ich daran, daß ich Euch auslachen werde!« –

Hierauf nahm er seine Pelzmütze und eilte der Thüre zu; aber von den übrigen Gästen machte Keiner Miene, ihn zu begleiten. Stockfinster war's und nur der schimmernde Schnee erleuchtete die Gegend, da dünkte ihm wirklich, als ob er in der Nähe des Oelbergs die Gestalt eines Menschen gewahre und er blieb stehen. Es fröstelte ihn allerdings nun etwas, aber die Vorstellung, von den Freunden weidlich verspottet zu werden, wenn er unverrichteter Sache zurückkäme, flößte ihm Muth ein, der Sache auf den Grund zu sehen. Also ging er langsam näher und rief mit lauter Stimme: »Wer da?« – Keine Antwort! Plötzlich stand ein kleines unheimliches Wesen ganz nahe vor ihm, stierte ihn mit Grabesaugen an und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die vor ihm stehende Kätze. Unser Held war wie an den Boden geheftet und kreischte mit kaum verständlichen Lauten: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn!« Fast besinnungslos griff er alsdann in die Kätze, nahm aus derselben, was er mit seinen zehn Fingern fassen konnte, und stürzte ohnmächtig zusammen.

Als er wieder zur Besinnung gekommen war, blickte er um sich, und als er weder vor noch hinter sich etwas mehr sah, bekam er wieder Muth und schämte sich seines Schreckens. Welches Erstaunen aber nahm die Stelle der Furcht ein, als er auf den beschneiten Boden blickte, und glänzendes Gold ihm entgegenfunkelte. Schnell raffte er dasselbe zusammen, und ging langsamen Schritts dem Burggrafen zu. Die ganze Gesellschaft[184] begrüßte ihn wie einen dem Leben Wiedergegebenen und war sehr auf die Erzählung seines Abenteuers gespannt, die er auch sogleich begann, indem er einige goldene Nüsse aus der Tasche nahm und auf den Tisch hinrollte. Da war auf einmal alle Großsprecherei verstummt, denn nicht ohne heimliches Grauen sah man die glänzenden Beweise vor Augen. Der Zinngießer aber entfernte sich bald und suchte schwindelnd vor Freude sein Nachtlager. Allein der Schlaf floh ihn diese und noch manche Nacht, denn ihn quälten die Pläne, die er für die Zukunft schmiedete, die Sorge um die Erhaltung und Vermehrung des unheilvollen Mammons. Mit seinem Glücke war zugleich das Unglück in seine vier Pfähle eingezogen, und aus dem zufriedenen Meister, dem die Arbeit sonst unter lustigem Gesange munter von der Hand ging, war jetzt ein grießgrämiger Sauertopf geworden, den sein Geschäft anekelte und die Mücke an der Wand ärgerte. Durch unkluge Unternehmungen verlor er manches schöne Kapitälchen und nach einigen Jahren bewahrheitete sich an ihm das Sprichwort: Wie gewonnen, so zerronnen! – Als er aber kaum mehr hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, zog er es vor, seinem jammervollen Leben zwischen Himmel und Erde mit Hülfe eines Stricks ein Ende zu machen.

So ging die Geschichte lange Zeit im Munde des Volks und so haben wir sie getreulich nach dem Berichte hochbetagter Leute aufgezeichnet.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 180-185.
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