639. Die drei Baumeister von St. Lorenz.

[189] Erz. von Fr. Trautmann (Hauschronik von Braun u. Schneider I., 69.)


Zu St. Lorenzen heißt ein Thurm: der alte. Wie derselbe alte Thurm im Bau begriffen war, hatten ihrer zwo Meister dran zu schaffen und vorerst schon einem anderen Meister die Arbeit abgejagt. Nachdem nun der beseitigt, loderte in ihnen Beiden grimmiger Haß und Zorn empor, und beschlossen, sich einander zu verderben. Damit es aber Niemand ahne, thaten Beide deßgleichen, als wären sie sich überaus geneigt. Drüber verlief etliche Zeit, bis sie eines Tages hinaufsteigen mußten, so weit der Thurm gebaut war. Da nun der Eine an's Fenster trat und hinaussah, packte ihn der Andere und wollte ihn hinabschleudern. Der Erste aber, so ein Gleiches vorgehabt hatte, hielt sich fest an ihn und riß ihn mit sich hinaus. Also stürzten sie Beide hinab und zerschmetterten sich alle Knochen. Dabei stand der Dritte unten, nicht eine Hand breit entfernt, denn er hatte schier hart am Thurm hinaufgeschaut. Als das der Rath erfuhr und der Baumeister, so am Leben geblieben war, erzählte, wie sie ihm mitgespielt hatten, da er ihnen doch nie was Leids gethan, war des Rathes Bescheid: des Werkes weiterer Bau gebühre ihm, denn gleich wundersam habe Gott die zwo Bösen vernichtet und ihn aus Todesgefahr errettet – stehe ihm auch frei, ein Wahrzeichen zu setzen. Drauf sagte der Baumeister: »Das sei ferne von mir! Eher will ich der argen That Spur ganz verwischen!« D'rauf war sein Erstes, daß er das Fenster zumauerte. Die Sage aber konnt' er nicht vertilgen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 189.
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