654. Der Sekendorfe Herkunft.

[202] Von Schöppner. – Var. d. vor. S.


Wie tönt das Hifthorn helle

Im Forst am rothen Main,

Wie klafft das Jagdgebelle

Der Meute durch den Hain.


Es jagt mit Speer und Pfeile

Der Kaiser durch den Hag,

Er fliegt mit Sturmeseile

Dem Edelhirsche nach.


So gehts in raschem Jagen

Bis in den tiefsten Hain,

Urplötzlich fand mit Zagen

Der Kaiser sich allein.


Und horch! ein Brüllen schallte

Entsetzlich an sein Ohr:

Da stürzet aus dem Walde

Ein Auerochs hervor.


Wie funkeln seine Blicke,

Wie schnaubt das Nüsternpaar,

Der Kaiser nimmt der Tücke

Des Thiers erschrocken wahr.


Kaum greift er zum Geschosse

So stürzt es auf ihn los,

Da ward dem edlen Rosse

Der Tod auf Einen Stoß.
[202]

Der Kaiser ruft mit Beben:

»O Gott und Vater mein!

Laß deines Knechtes Leben

Dir anbefohlen sein!«


Da springt mit blanker Wehre

Ein Jägersmann herfür

Und trifft mit seinem Speere

Das ungefüge Thier.


Laut scholl durch Berg und Thale

Des Urs Gebrülle nach

Als er von gutem Stahle

Durchbohrt im Blute lag.


»Wer ist der treue Degen,

Der solche Stöße führt?

Der Kaiser ruft's von wegen

Des Danks, so dem gebührt.«


Ein Jäger jung an Jahren,

Herr Walter ist sein Nam',

Den Kaiser zu bewahren

Von Gott gesendet kam.


Da griff nach seinem Schwerte

Herr Heinrich alsobald,

Zum Ritter ward der werthe

Geschlagen in dem Wald.


Der Kaiser brach vom Aste

Der Linde einen Zweig,

Des Waldes Zierde paßte

Als Ritterkette gleich.


Und würdiglich zu danken

Dem Ritter treu und werth:

Als Lehen ward in Franken

Ihm Seckendorf bescheert.


Dort saß er und ergraute

An Glück und Ehren reich,

In seinem Wappen schaute

Man stets den Lindenzweig.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 202-203.
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