660. Das Wallfahrtskreuz bei Bieberehren.

[209] Von G. N. Marschall.


Wo klar der Tauber Welle durch reiche Auen schäumt,

Hebt steil sich eine Höhe, die Krone waldumsäumt.

Dort ragt in heil'ger Ruhe ein hölzern Kreuz empor,

Zur Seite schatt'ge Bäume, Betstühle rings davor.


Wohl eine heil'ge Stätte am Kreuz auf diesen Höhn;

Man fühlt des Höchsten Odem lebendiger hier wehn;

Wie uns zu Häupten sonnig und rein der Himmel blaut,

Die hehre Sabbatstille stört kein verworrner Laut.


Darum viel Beter wallen von nahe und von fern

Zum waldeinsamen Kreuze am hohen Tag des Herrn.

Doch wißt ihr, fromme Pilger, wie dieses Kreuz entstund?

Wohl steht es nicht geschrieben; doch thut es Sage kund.


Ein Landmann hat vor Zeiten auf nah gelegnem Feld

Mit jungen, muth'gen Rossen die Frühlingssaat bestellt,

Schon hat er halb vollendet das Tagwerk, hart und schwer,

Da wollen seine Pferde am Pflug nicht weiter mehr.


Weil sie des Rufs nicht achten, versucht er Schlag und Drohn,

Doch weh! im Sturmlauf jagen wuthschnaubend sie davon.

Der Bauer kann vom Zügel nicht mehr befrei'n die Hand,

Es schleifen ihn die Rosse mit fort durch's Ackerland.


Am nahen Waldeshange gähnt drohend eine Schlucht.

Entsetzen! dorthin nehmen die Rosse ihre Flucht.

Jetzt! jetzt sind sie am Rande, schon dräut die Kluft herauf;

Sie können nicht mehr hemmen den ungestümen Lauf.
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In Todesnoth der Bauer: »O Gott! erbarm dich mein!«

Da rasen schon die Rosse in's offne Grab hinein.

Und allen, die es sehen, entfährt ein Schreckensschrei!

Zur Unglücksstätte eilen sie todtenbleich herbei.


Doch welch ein mächtig Wunder! tief an der Felsenwand

Kniet unversehrt der Bauer, erhoben hoch die Hand.

»Du mächt'ger Hort der Deinen, Du hast erhört mein Flehn,

Zum Dank will ich dir gründen ein Kreuz auf diesen Höhn.«


Und treu hat er gehalten sein feierliches Wort,

Ein Kreuz hat er errichtet am Tannensaume dort.

Wie Mancher, der in Nöthen in innigem Gebet

Sich hier zum Himmel wandte, hat Hilfe sich erfleht.


Und wer, der wunden Herzens gefloh'n an diesen Ort

Hätt nicht der Seele Frieden genommen mit sich fort?

Darum viel Beter wallen von nahe und von fern

Zum waldeinsamen Kreuze am hohen Tag des Herrn.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 209-210.
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