689. Der ewige Student zu Würzburg.

[228] Mündlich.


Mancher, der nächtlicher Weile an der östlichen Seite des Universitätsgebäudes vorüberging, wo oben die Gitterfenster des Karzers herabschauen, hat schon eine in einen Mantel gehüllte dunkle Gestalt die Mauer entlang auf und ab wandeln gesehen. Das ist der ewige Student. Vor langen Jahren war einmal an der Würzburger Hochschule ein flotter Studio, dem Nachtschwärmereien und wüste Zechergelage zur andern Natur geworden. Der Karzer war daher sehr oft seine Herberge. Da er von seinem wilden Leben durch keine Ermahnungen abzubringen war, so wurde er von seinem Vater verflucht, ewig den Studentenkarzer zu hüten. So oft sich nun der ewige Student sehen läßt, deutet es eine neue Bevölkerung des Karzers an. So lange aber der ewige Student nicht von seiner nächtlichen Geisterwache abläßt, so lange blüht die alma Julia fort. Die Menschen sterben, die Wissenschaft lebt ewig.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 228-229.
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