708. Der letzte Hieb.

[238] Mündlich.


Vor Alters wurden in Würzburg häufig Zigeuner, wenn sie in herumziehenden Diebsbanden aufgegriffen wurden, auf dem Pranger ausgestellt und dann auf den Galgenberg, wo jetzt der Kugelfang ist, und damals ein Galgen stand, geführt und aufgehängt. Bevor sie auf den Pranger hinauftraten und ehe sie von demselben herabstiegen, erhielten sie derbe Ruthenstreiche, meist auf entblößte Körpertheile. Dann wurden sie durch die Stadt nach dem Sanderthore, um einen Theil der Stadt herum und dann den Berg hinauf geführt. Denn zum Rennwegerthore durfte der Zug nicht hinausgehen, weil man sonst bei der fürstbischöflichen Residenz vorbeigekommen wäre, und die Delinquenten die fürstliche Gnade hätten anrufen können. (Noch jetzt müssen die Delinquenten diesen Weg machen und dürfen nicht an der Residenz vorüber.) Auf dem Wege zur Richtstätte waren mehrere Stationen bestimmt, wo die Delinquenten anhalten mußten, um Ruthenstreiche zu empfangen oder mit eisernen Zangen gezwickt zu werden. Einst waren mehrere Zigeuner am Pranger ausgestellt, worunter sich auch eine anmuthige Weibsperson befand. Diese schien von adeligem Zigeunergeschlechte zu sein, da sie ein äußerst feines Hemd am Leib hatte, und wurde vom umstehenden Volke gar sehr bemitleidet. Als sie nun auch Ruthenstreiche empfangen sollte, boten sich mehrere junge Mannspersonen an, die Hiebe anstatt ihrer auszuhalten; allein es ward nicht angenommen, und die hartherzigen Henkersknechte ertheilten der adeligen Zigeunerin die diktirte Anzahl von Hieben. Auch auf dem Wege wurde ein solches Anerbieten von Seite der jungen Mannspersonen nicht angenommen. Als sie an der Stelle, wo man die Stadt zum letzten Male vor sich liegen sieht, ihre letzte Tracht Hiebe erhalten sollte, murmelte sie einen leisen Fluch, und dem Henker erstarrte die Hand, so daß ihm die Ruthe entfiel, und er nicht im Stande war, sein Prügelamt zu vollziehen; und er blieb für immer gelähmt. Diese Stelle auf der Anhöhe nannte man jener Zeit »den letzten Hieb.« Später ward ein Bierkeller daselbst erbaut, welcher noch jetzt diesen Namen führt. Aber beim schäumenden Kruge denken wenige daran.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 238-239.
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