767. Der versunkene Ritter.

[282] Mündlich.


Im Norden des Landgerichtsbezirks Bischofsheim, auf der Grenze gegen Gersfeld und Hilders, befindet sich eine große Sumpfstrecke, von der Farbe des darauf wachsenden Mooses das »braune Moor« genannt. Jedes Jahr läßt sich in einer gewissen Nacht ein Eulenpaar sehen, welches das Moor mit schauerlichem Gekrächze umschwirrt. Dann vernimmt man Stöhnen und Gewimmer aus der todten Fläche, und eine Geistergestalt steigt aus derselben empor. Das ist der wilde Ritter Heinz von Teufelsstein, der darin versunken ist. Auf dem Teufelsstein, einem Punkte des Rhöngebirges, hauste der wilde Heinz auf seiner Burg. Wehe der armen Tochter des Landmanns oder des Bürgers, die vom Geschicke seinen räuberischen Händen zugeführt wurde. Denn war es ihm geglückt, durch List oder Gewalt ein Mädchen auf seine Burg zu bringen, so hatte die Arme nur die Wahl zwischen Entehrung und dem gräulichsten Tode. Mit der Larve des Heuchlers nahte sich der Wüstling seinem unglücklichen Opfer und suchte durch tausend Schmeicheleien und süße Versprechungen zum Ziele zu kommen; weigerte sich aber die Schuldlose standhaft, dann ging seine geheuchelte Freundlichkeit in die erbittertste Wuth über. Tief in dem scheußlichsten Kerker eines Thurms begraben, mußte die Arme erst durch Gewalt ihrer Unschuld beraubt werden und dann ihr Leben verhauchen. So war schon manches Opfer seiner verschmähten Lust gefallen, und nicht der schreckliche Gedanke an des Himmels Strafe, noch die verfolgenden Schatten der Ermordeten vermochten seinen in Bosheit verhärteten Sinn zu erschüttern.

Einst sah er eine schöne Jungfrau in der Nähe seiner Burg allein umherwandeln und Kräuter suchen. Schnell eilt er ihr in wilder Lust entgegen, um sie auf seine Burg zu locken. Doch da sie sich auch durch die schönsten Versprechungen nicht dazu bewegen ließ, und also ihre holde[282] Gestalt noch viel reizender erschien, schlang er trunken von Lüsternheit seine Arme um die Jungfrau. In demselben Augenblicke aber sieht er sich von den Armen eines scheußlichen Todtengerippes umklammert. »Deine Zeit ist abgelaufen!« grinzt es ihn mit gräßlicher Stimme an, und drückt und preßt ihn furchtbar zusammen. Nach langem, schrecklichen Kampfe mit dem scheußlichen Gerippe, wird er endlich freigelassen. Erschüttert an Leib und Seele, eilt er von dannen. Die dichte Finsterniß der eingebrochenen Nacht läßt ihn auf seiner Schreckensflucht den mit tiefem Moore bedeckten Pfuhl nicht sehen; laut schreiend stürzt er hinein, und der in den Mund eindringende Schlamm verhindert ihn, nach Rettung zu rufen; so mußte er im Sumpfe versinkend seine schuldvolle Seele aushauchen. Jedes Jahr steigt in einer gewissen Nacht sein Geist aus der todten Moorfläche, und Eulen umschwirren ihn mit schauerlichem Gekrächze.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 282-283.
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