785. Die Zaubermuschel.

[303] Von AlexanderKaufmann.


»Der Spessart ist ein wunderbarer Wald,

Und drin erzählt man seltsame Geschichten –

Die Welt da draußen wechselt die Gestalt,

Wir bleiben stets die Alten, Treuen, Schlichten!«


Mein Jäger sprach's und setzt' in Ruh den Hahn;

Vergeblich birschten wir drei Morgenstunden

Es lief kein Thier die müden Schützen an,

Daß Ruhe wohlthat Jägern so wie Hunden.


»Hier rasten wir! Der Platz ist wunderschön

So kühl, so frei – welch ein ergötzlich Schauen

Hier in das Thal, dort nach den grünen Höh'n,

Darüber fern und ferner Kuppen blauen!


Und hier der Bach, umrauscht von Erlenlaub,

Und drin die Muscheln, wie sie prächtig blitzen!

O schöne Muscheln, bald des Jägers Raub:

Es soll mein Lieb als Armband euch besitzen!«


Drauf mein Gefährte: »Wünscht solch Kleinod nicht,

O wagt es nicht, in diese Flut zu langen!

Ihr Klugen draußen nennt es ein Gedicht,

Was man erzählt von dieser Muscheln Prangen,


Uns ist es kein Gedicht: Die Ahne mein

Hat's schon erzählt, Ihr könnt es jetzt auch lesen,

Wie einst ein Schloß da drüben auf dem Stein,

Und stolze Ritter in dem Schloß gewesen.«


Schön war des Ritters Tochter, wunderhold,

Weßhalb der Alte gern sein Liebstes schmückte,

Ihr Arm und Finger reich umwand mit Gold

Und auf das Haupt ein Perlenkrönlein drückte.


Sie aber sprach: O schau das Volk umher,

Wie elend ist's, wie ganz der Noth zu eigen!

Sieht es den Glanz, fühlt es die Qual nur mehr, –

Man soll den Armen keine Schätze zeigen!
[304]

Ja, gäb' es hier, wie drüben in dem Bann,

Gewicht'ge Pächter, wollt' in Gold ich prangen

Es könnte jeder reiche Vater dann

Für's Töchterlein den gleichen Schmuck erlangen.


Doch schaut, im Bache giebt es Muscheln viel,

Mit Muscheln will ich Stirn und Busen kränzen,

Das ärmste Mädchen mag zu eitelm Spiel

Sich Muscheln suchen, kann in Muscheln glänzen.


Bringt Muscheln mir zu stolzem Krönelein,

Bringt Muscheln mir als Armband und als Kette! –

Wie schön sie war in ihrer Muscheln Schein,

Schöner als wenn in Gold gestrahlt sie hätte! –


Da war ein Knab im Dorf, sein Aug' so klar,

Sein Herz wie Gold. Niedrigem Haus entsprungen

Barg er den Wunsch, der still erblühet war,

Doch Tag für Tag ihn mächtiger umschlungen.


Sie kannt' ihn kaum; sie kannte nur den Gruß

Des scheuen Knaben, der mit frommem Bangen

Den Weg betrat, auf dem gewallt ihr Fuß –

Er hörte kaum des schönen Kinds Verlangen


Nach Muschelzier, so ging er Tag und Nacht

Zum Bach und suchte Muscheln, suchte, wählte

Und wählt' und suchte, bis ein Schmuck voll Pracht

Beisammen war; dem nur ein Stück noch fehlte.


Dies letzte aber soll das schönste sein! –

Der Bach geht tief; im tiefsten, tiefsten Grunde

Lag eine Muschel, tück'schen Zauberschein

Warf spielend sie in weiter, grüner Runde.


Die wird noch mein! – Und willenlos fast springt

Der Knabe von der Brücke jähem Rande –

Die Muschel wurde sein – den Taucher schlingt

Die Welle fort und wirft ihn todt zum Strande.


Den Schmuck erhielt das Mädchen, und sie hing

Ihn weinend um, die stumme, geisterbleiche,

Und als der Knab begraben wurde, ging

Die Herrin weinend hinter seiner Leiche,
[305]

Trug nochmals jenen Schmuck und legt' ihn dann

Still zu den Schätzen, die nun alle ruhten –

Auch sie war todt, bevor ein Jahr verrann –

O tückisch sind die Geister solcher Fluten!

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 303-306.
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