802. Kaiser Rudolfs Grabritt.

[323] Von W. Wackernagel. – Ottok. v. Horneck's Reimchronik c. 377. Ed. Pez. p. 344.


Was wandelt denn durch's Land für Trauerkunde?

Die Leute steh'n und weinen an den Wegen

Und alle Glocken klagen in die Runde.

Und einen Zug seh ich herab bewegen

Zum Thale sich von Germersheim, dem Schlosse,

Und auf der Straße weit den Staub erregen.

Und herrlich raget über all dem Trosse,

Der weinend folgt und schmerzlich weheklagend,

Ein Greis hervor auf langsam geh'ndem Rosse.

Und Priester ihm zur Seite Kreuze tragend,

Gebete sprechend, feierliche Lieder

Mit Schluchzen singend, Segensworte sagend.

Und durch die Felder geht der Zug hernieder

Zum Rheine hin; und alle Leute weinen

Und schau'n und fragen sich und weinen wieder.

Der Kaiser ist's, den diese Klagen meinen,

Der Kaiser Rudolf ist's; er will mit denen,

Die schon in Speier schlafen, sich vereinen.

Der Kaiser Rudolf ist es: da, wo Jenen,

Die vor ihm herrschten, ist das Grab bereitet,

Will er sein Haupt auf's Sterbekissen lehnen.

Der Kaiser ist's: er weiß, sein Engel leite

In dreien Tagen ihn zur Todespforte:

»Der Kaiser ist es, der zu Grabe reitet!« –

Und er ist todt! mit solchem Schmerzensworte

Geh'n Zähr und Seufzer in das Land als Boten.

»Rudolf ist todt!« So klingt's von Ort zu Orte.

Und Alles kömmt und drängt und will die rothen,

Verweinten Augen nur noch einmal schauen,

Nur einmal noch den heißgeliebten Todten.

Es zeigen ihren Kindern ihn die Frauen:

»Seht, diese Hand ließ einst sich das verwaiste

Deutschland als Braut in rechter Liebe trauen.«

Sie steh'n und jammern; doch die allermeiste

Wehklag' erhebt ein Alter, dem am Kinne

Und Scheitel längst die Locke schon ergreiste.

Ihr Fürsten gönnt mir eins nur zum Gewinne,

Nur eins zum Trost. »Ich schuf aus festem Steine

Einstmal sein Bild mit meinem besten Sinne.[324]

Das Werk der Lieb' und Treue, laßt es seine

Ruhstätte nur für alle Zeit bewahren;

Zu Rudolf's Denkmal gnügt sein Bild alleine.

Zu Rudolf's Denkmal, der mit grauen Jahren

Die Krone wie ein Jüngling hat getragen,

D'rin Mild und Recht die schönsten Steine waren.«

Der Meister sprach's und trat mit neuen Klagen

Zum todten Kaiser, welchem tief gefaltet

Der unbewegten Stirne Furchen lagen.

Noch ist das Bild zu Ende nicht gestaltet!

So rühre Meisel manches Bilds Gestalter,

Noch einmal dich, eh meine Hand erkaltet!

Denn eine Falte grub ihm noch das Alter.

»Nur sei, o Hand, zur letzten Arbeit eilig!

Wer so in Sorgen war des Reich's Erhalter,

An dessen Stirn ist jede Falte heilig.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 323-325.
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