809. Hildegard von Hoheneck.

[332] Von LaurianMooris.


1.

Blaue Wolken ziehen kühlig

Durch das reine Aetherland,

Und der Tag, der gluthumfang'ne

Hat die Segel abgespannt.


Immer noch am grünen Bache,

Fern von lustig wildem Troß,

Sitzt ein schlanker, blonder Jäger

Halbgelehnt auf sein Geschoß.


Sitzt die schöne, ros'ge Jungfrau

Hildegard – allweit bekannt,

Rastend von der müden Fährte,

Lettern schreibend in den Sand.


Mit dem letzten ihrer Pfeile

Gräbt sie Nieblings Namen ein,

Und der Liebe süßes Bangen

Webt um sie so holden Schein.


Doch da rauscht's – und durch das Dickicht

Tritt ein Weib, gebückt und alt,

Vom Geschlechte der Alraunen,

In prophetischer Gestalt.


»Wehe, wehe!« droht sie furchtbar,

»Wehe, wehe, arme Maid!

Hältst in deinen zarten Händen

Jenen Pfeil gespitzt und breit,


Der noch, eh', der Tag geschieden,

Deine Lieb' dem Tode weiht!

Wehe, wehe, armer Niebling,

Wehe, wehe, arme Maid!«


Hildegard sah bang erstaunet

Auf das Weib, das nun verschwand,

Hob sich dann, und folgt' dem Pfade,

Der sich nach dem Schlosse wand.


Träumte wieder ihre Liebe,

Ließ der Hoffnung freien Lauf,

Sieh! – da flog ein grauer Vogel

Aus der Eiche vor ihr auf.


Hastig spannte sie den Bogen,

Jagte kühn den Pfeil zum Ziel,

Dachte lächelnd noch des Weibes,

Als der große Reiher fiel.
[332]

Lange suchte sie im Forste,

Bahnte Weg sich durch's Gezweig,

Doch sie fand ihn nicht am Wege,

Fand ihn nicht in dem Gesträuch.


Sinnend schritt sie und durchschauert

Dann den Felsenweg hinan,

Und so stand hinunter blickend,

Bald sie auf dem Burgaltan.


2.

Glühend ging die Sonne unter,

Purpur färbend Berg und Thal,

Nachtigallen sangen schmetternd,

Sonnend sich im letzten Strahl.


Und es kommt ein Mann geritten

Einsam durch den dichten Wald

Zornig grinsen seine Züge,

Und am Kreuzweg macht er Halt.


Hebt sich von dem flinken Rappen,

Bindet fest ihn mit dem Zaum,

Nimmt den Bogen und geht weiter

An des einen Weges Saum.


Sieh da liegt ein todter Reiher,

Blutend noch, vor seinem Fuß,

Den ein gut gezielter Bolzen

Hingestreckt mit kühnem Schuß.


»Ha erwünscht! – hast gut getroffen,

Sollst es auch zum zweitenmal!«

Zieht ihn aus dem weichen Herzen,

Horcht dabei gespannt zum Thal.


Legt ihn auf die straffe Sehne,

Hält sich dichter hinter'm Baum,

Lauscht noch einmal – und er höret

Tritte durch den öden Raum.


»Ha! er ist's!« und immer näher

Hört man eines Pferd's Geklirr, –

Gegenüber jetzt – er zielt – und

Trifft mit sausendem Geschwirr.


Und ein junger blüh'nder Ritter

Stürzt vom Pferde todt herab!

Niebling ist's, – sein Nebenbuhler

Sprengt davon in raschem Trab.


3.

Dunkel wird der Himmelsbogen,

Sterne füll'n den öden Raum,

Und die Blüthenflocken träumen

Säuselnd ihren Abendtraum.


Lange harrend des Geliebten

Sitzt noch immer Hildegard,

Finst'res Ahnen, dunkles Hoffen

Liegt auf ihrer Stirn geschaart.


Sehnend breitet sie die Arme –

Der Geliebte ist es nicht, –

Stunden schleichen träg und träger,

Immer, immer, kömmt er nicht.


An der Veste unter'm Thore

Werden Männerstimmen laut,

Nieblings Namen hört sie nennen –

Und man seufzt: »die arme Braut!«


»O, er kömmt!« sie rennt hinunter –

– Weh, ach weh dir, Hildegard!

Niebling ihren Pfeil im Herzen,

Liegt vor ihr entseelt, erstarrt! –

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 332-333.
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