842. Der Graf von Pappenheim.

[369] Von KarlUlmer.


Zu Pappenheim im hohen Saale

Da sitzt der alte Graf;

Die Lampe glimmt mit mattem Strahle,

Rings waltet tiefer Schlaf.

Der Alte nickt auf weichem Stuhle,

In Schlummer eingewiegt;

Die Tochter neben spinnt zur Spule,

Die Spille schnurrt und fliegt.


Es heult der Wind, es klirrt das Fenster,

Es schreit die Eule bang,

Und gleich als hausten drin Gespenster,

Erhallt's den Saal entlang.

Tief unten wogt der Strom, es rauschet

Herauf aus finsterm Thal,

Und durch zerriss'ne Wolken lauschet

Der Mond mit bleichem Strahl.
[369]

Das Mägdlein bebt, der Ritter lächelt,

Es träumt der müde Greis;

Um die ergrauten Locken fächelt

Ein Lufthauch sanft und leis.

Die Tochter streicht die Silberhaare

Ihm still vom Angesicht,

Und auf dem Lieben ruht das klare

Und keusche Augenlicht.


Der Graf erwacht, sein Auge flammet,

»Hab' ich denn recht gehört?«

So ruft er: »Hat der Nacht entstammet,

Ein Traum mich nur bethört?

Wo ist die Mutter? – Wo sie säumet?

Sprich, hast du Nichts gesehn?«

Die Jungfrau sagt: »Ihr habt geträumet,

Es ist wohl Nichts geschehn.«


»Maria! geh' und nimm die Harfe!

Stimm' an den Lieblingsang!

Das alte Herz erquickt der scharfe,

Vertraute Saitenklang.«

Er spricht's, das Fräulein geht, und bringet

Die schwere Harfe schnell,

Und rührt sie, daß es rauscht und klinget,

Drein tönt die Stimme hell:


»Es zog von seinem Schlosse

Ein Graf zum heil'gen Land,

Er zog auf stolzem Rosse,

Das Kreuz auf dem Gewand.


Er half das Grab befreien,

Er stritt voll kühner Glut;

Nur Liebe konnte feien

Des Helden tapfern Mut.


Er war allein gezogen

Zur festen Burg hinaus,

Doch kam auf Meereswogen

Mit ihm ein Weib nach Haus.


Es fiel ihr schwer und bitter,

Vom Mutterland zu flieh'n,

Doch folgte sie dem Ritter,

Denn Liebe hieß sie ziehn.


Die Blume beugte nieder

Des Nordens eis'g Weh'n;

Nach Morgen trieb sie's wieder,

Der Heimat Licht zu seh'n.


Da ist sie einst verschwunden

Hinweg von Kind und Mann,

Und ward nicht mehr gefunden,

Obschon manch Jahr entrann.«


Das Mägdlein schließt mit zagem Munde,

Leis schwirrt der Harfe Strang,

Da summt die mitternächt'ge Stunde

Vom Thurme dumpf und bang.

Im Vorgemach ertönt ein Schallen

Von Tritten, leicht und lind,

Und knisternd weht es durch die Hallen,

Wie kühler Morgenwind.


Es knarren auf die Pforten schnelle,

Es lischt der Lampe Schein,

Da schwebet rasch zur offnen Schwelle

Ein Frauenbild herein.

Ein weiß Gewand umfließet schimmernd

Das milde, blasse Weib,

Und hehres Licht entströmet flimmernd

Dem geisterhaften Leib.


Der Graf erstarrt. Sie naht, und winket

Mit zarter Hand ihm zu.

Er sieht's, erhebt sich, schwankt und sinket,

»Bist's du's, o Agnes! Du? –

Leb wohl, mein Mägdlein!« ruft er, haltend

Sein Kind an's morsche Herz,

Und drückt es sanft, und schließt erkaltend

Die Augen ohne Schmerz.


Die Jungfrau, zitternd, hält umfangen

Den stillerblichnen Greis,

Und Thränen thauen auf die Wangen

Des Vaters, viel und heiß.

Da legt die Mutter, glanzumwoben,

Die Hand auf's treue Kind,

Und lächelt mild und zeigt nach Oben,

Dann flieht sie luftgeschwind.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 369-370.
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