854. Die Zufluchtsstätte der heil. Walburgis.

[386] Von J. N. Vogl.


Der Eichwald saust, es heult der Sturm,

Horch! Eulenruf im alten Thurm!

»Du Pilgrim, nimm dich wohl in Acht,

Des Mörders Aug' im Walde wacht.«


»Du Pilgrim mit dem weißen Stab,

Steig' nicht in's finst're Thal hinab,

Kehr' um, kehr' um, noch ist es Zeit,

Der Weg nach Sanct Walburg ist weit.«


Der aber spricht: »Muß fürder zieh'n,

Muß heut' nach Sanct Walburg noch hin,

Hab mich verlobt, in tiefem Leid,

Der Jungfrau dort mit heil'gem Eid.«


Hin geht er d'rauf in Nacht und Grau'n,

Vor Tag's den hohen Dom zu schau'n,

Kein Laut – der Sturm nur heult allein,

Und wimmert tief im Felsgestein.


Da bricht's hervor, da springt's heran,

Mit nerv'gen Armen faßt's ihn an,

Wild schnaubt der Mord: »Dein Gold! dein Gold!«

Des Pilgrim's Blut im Staub entrollt.


Hoch aus dem Hals ein Blutstrom quillt,

»O Mörder, stießest gar zu wild! –

Was wühl'st du so mir im Gewand?

Umsonst nach Gold sucht deine Hand!«
[386]

Und der betrog'ne Mörder d'rauf

Voll Ingrimm springt vom Pilger auf,

Der aber, krümmend sich im Blut,

Stöhnt noch mit letzter Lebensglut:


»O Sanct Walburgis, hehr und mild,

Du wunderthätig Frauenbild,

O gib, daß ich zu dir mich find',

Wenn Seel' und Leib geschieden sind.«


Verstummt ist d'rauf des Pilgrims Mund,

Der Sturm nur gibt sein Zürnen kund,

Es saust der Wald, es rauscht die Flut,

Von ihm gepeitscht mit toller Wut.


Und zu dem Strom, auf öder Bahn,

Der Mörder schleppt den Pilgersmann,

»Hinab mit dir, daß nicht Verrath,

Dem Tag' vertrau' die nächt'ge That.«


Da plötzlich um den Träger preßt

Der Pilgrim seine Arme fest,

Wie der auch strebt und wie er ringt,

Nicht los er ihn vom Rücken bringt.


Aufkreischt er da in Schrecken wild,

Von mehr als Todespein erfüllt:

»Wer hilft mir von der grausen Last,

Die mich – weh mir! – so kalt umfaßt?« –


Doch fest, an Brust und Schulter warm,

Klemmt sich des Todten eis'ger Arm,

Das grause Antlitz, hohl, verbleicht,

Mit Grinsen sich zu seinem neigt.


»Zu Hilfe! Hilfe! – Steht mir bei!«

So schallt des Flücht'gen Angstgeschrei,

Wild fliegt sein Haar um Aug' und Stirn',

Wie Wahnsinn zuckt's ihm durch's Gehirn'.


»Und bring' ich nirgends mehr dich los,

Begrab' uns Beid' des Stromes Schooß,«

Er ruft's und saust im schweren Fall

Hinunter in den Wasserschwall.
[387]

Still ist's ringsum – wohl hält der Schlund

Die beiden fest im tiefen Grund;

Betrogen! – schaut! – in grimmer Wut,

Wirft sie zurück an's Land die Flut.


»Weh mir! weh mir!« der Mörder ruft,

»Weh dir!« hallt's nach aus Thal und Kluft,

Die Wölfin selbst, die Blut nur sucht,

Entflieht vor ihm zur tiefsten Schlucht.


Und fort und fort durch Wald und Au'n,

Und fort und fort spornt ihn sein Grau'n,

Da blinkt es fern', da klingt's so mild,

Wie Glockenton, durch's Thalgefild.


»Was steigt dort auf im Morgenlicht?

Ist das der Dom zu Eichstädt nicht?

Der Dom, – so Sanct Walburg geweih't,

Zu dem den Pilgrim rief sein Eid?«


»Wie fand mein Fuß hieher die Bahn?

Durch Sturm und Nacht, hinab, hinan?«

O folg' der Stimme, die da sagt:

Dir hilft nur dort die Gottesmagd.


Und mühsam ringt er sich hinauf,

Hell glühen Fenster, Thurm und Knauf –

Die Frühmeß' mit gar frommem Sinn,

Hört eben die Gemeinde drin.


Zur Pforte tritt er – und mit Schrei'n

Zerstiebet Alles vor den Zwei'n,

Und auf die Knie' zum Tod entstellt,

Mit seiner Last der Mörder fällt.


»O Heil'ge,« ruft er »schau in Huld,

Auf mich, der bald gesühnt die Schuld,

Sieh' mich in meiner tiefen Reu'

Und mach' mich von dem Todten frei!«


Und kaum er so zur Heil'gen spricht,

Entweicht von ihm das Schreckgewicht,

Und auf die Schwelle gleitet sacht

Der Pilgrim, der die Fahrt vollbracht.
[388]

Der Mörder aber im Gebet

Noch brünstig zu der Heil'gen fleht,

Und als der dritte Morgen naht,

Hat er in Reu' gesühnt die That.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 386-389.
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